kennt Ihr Colum Sands? Links und Reinhörmöglichkeiten im Spoiler:
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An einem bitterkalten Novembertag fanden die Besucher der Bethlehem-Kirche nicht nur beheizte Sitzbänke und Glühweinausschank vor, sondern konnten zudem die Seele an authentischer handgemachter Musik wärmen, als Colum Sands einen unterhaltsamen Konzertabend präsentierte - mit abwechslungsreichem Gitarrenspiel, Geschichten aus der Heimat Nordirland und mancher Aufforderung zum Mitsingen.
Quelle: https://i.ibb.co/jvkcDS2/Colum-Sands-2022-2-Kirche.jpg
Zur Begrüßung entschuldigte sich der Sänger, dass seine Stimme unter leichter Erkältung leide, wovon ich nichts merkte. Aber offenspar spielte er manche Lieder in anderen Tonarten als üblich.
Aber es gibt ja Unterstützung: Vom ersten Stück an war klar, dass Mitsingen bei Colum, gerade in Refrains, durchaus erwünscht ist. Markante Passagen werden gerne mal vorab geklärt. Das recht kleine Publikum gab sich Mühe. Immerhin war auch Paul von den Dublin Legends (am Vorabend hatten sie einen großen Auftritt in Hamburg) als Zuhörer im Saal.
Colum stellte seine Songs mit recht langen Anmoderationen in einen Kontext, das Geschichtenerzählen stand fast gleichwertiges neben der Musik. Dabei sprach er Englisch mit irischem Akzent und wiederholte zentrale Aspekte bisweilen noch einmal in seinem sehr guten Deutsch. Oder es gibt mal ein kleines Mischmasch: "The hedges were in bloom with Weißdornblüten."
Diese Sprechpassagen gaben dem Abend eine tolle Abrundung und bereiteten die jeweiligen Lieder für Leute wie mich, die sie nicht kannten, toll vor. Beispielsweise erklärte er einmal den alten Kinderreim "One For Sorrow, Two For Joy", worin es nach abergläubischer Überzeugung nichts Gutes verheiße, eine einzelne Elster zu erblicken. So konnte man die entsprechende Zeile im nachfolgenden Lied auch verstehen. Colums trockener beiläufiger Humor hat mir sehr gut gefallen, erntete aber wenig Reaktionen, ich kickerte manchmal in mich hinein. Denn wenn man beispielsweise partout keine zweite Elster sieht? Zur Not ginge auch etwas anderes Schwarz-Weißes, das gerade in der Nähe sei, zum Beispiel ein Pinguin, ha.
Colum spielte hauptsächlich eigene Lieder (man hätte ja auch zahlreiche Irish-Folk-Traditionals erwarten können), die vielfach kleine spezielle Alltagsgeschichten erzählen. Beispielsweise handelt "Going Down To The Well With Maggie" vom Wasserholen am Brunnen mit seiner Tante ("She lived in a very simple way, she didn't have -- Sie hat keinen Strom oder fließende Wasser gehabt.")
Gesellschaftskritische Töne hörte man allenfalls beiläufig heraus, etwa wenn in einer Ansage diejenigen, die sich aufs Stehlen verstehen, eher die großen Banken sind als kleine Bankräuber. Richtig Stellung bezog Colum dann aber insbesondere in Umweltangelegenheiten, u.a. erzählte er von einem Protest in seiner Heimat gegen eine für ein Bauprojekt angedachte Waldrodung und präsentierte den anlassbezogenen Song dazu.
Colum wirkte auf mich sehr naturverbunden. Er machte sich etwa darüber lustig, dass ausgerechnet im regenanfälligen Irland Wasser aus anderen Ländern importiert und in Flaschen vermarktet wird. Auch hatte er ein neues Lied im Gepäck, das die Verwicklungen von Ärzten und Pharmaindustrie ein wenig anprangerte.
Die Lieder waren allesamt sehr eingängig, teilweise simple Melodien fast schon nach Kinderliedmanier - somit mitsingtauglich obendrein -, dann wieder weniger vorhersehbar. Colums Gitarrenspiel wechselte sich ab zwischen zartem filigranen Picking und zackigeren Rhythmen mit dem Plektrum - aber nie schrammelig, sondern gefühlvolle Akzente setzend. Anderes hätte ich von diesem Multitalent der Sands Family auch nicht erwartet.
Quelle: https://i.ibb.co/QFSZd0g/Colum-Sands-20 ... ertina.jpg
Und woran merkt man nun, dass zurecht Irish Folk auf dem Plakat steht und nicht einfach nur Singer-Songwriter? Zwei traditionelle Stücke ("The Maid Of Ballydoo" und "The Mule Song") sang Colum acapella und beide hatten deutlich typisch-irisch anmutende Melodien - zudem auch jeweils lustige Mitmach-Passagen. Und der Multiinstrumentalist packte nach der Konzertpause zur Einleitung des zweiten Teils eine Concertina aus und spielte ein Instrumentalstück, das mir unbekannt war, aber vermutlich traditionell: Es nahm ordentlich Fahrt auf und hätte irische Tanzmusik sein können.
Songs, die mir persönlich in besonders guter Erinnerung geblieben sind, waren "Turn The Corner" (oben verlinkt), das die Frage aufwarf, an welcher Kleinigkeit man merkt, wieder zuhause zu sein, und "Goethe's Song / Nähe des Geliebten", eine Übersetzung und Vertonung des berühmten Goethe-Gedichts.
Quelle: https://i.ibb.co/NsLP7hB/Colum-Sands-2022-4-nah.jpg
Insgesamt war ich hellauf begeistert, so ein tolles internationales Konzertprogramm direkt in meiner Stadt geboten zu bekommen. 15€ Eintritt, leider nur ca. 30 Gäste: Reich wird damit niemand; an die Heizkosten für die Kirche will ich gar nicht denken. Colum zeigte sich jedenfalls dankbar, dass Menschen Livemusik unterstützen, und betonte, es müsse zum Gelingen eben 3 Kräfte geben: die verrückten herumreisenden Künstler, die leidenschaftlichen Organisatoren solcher Veranstaltungen und eben das Publikum, das auch wirklich kommt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Danke fürs Lesen.
Viele Grüße
Viktor