Im November 1994 hatte ich zum ersten mal ein Konzert von Reinhard Mey besucht und schon damals wirkte bei mir der "Zauberspruch"
Da bin ich wieder sofort und ich fühlte mich tatsächlich wie ein "alter Freund", der von Reinhard in sein (zugegeben übergroßes und teilweise etwas ungemütliches) Wohnzimmer eingeladen wurde, in dem er dann mit uns seine (Lebens-)Geschichte(n) teilte. Unsere letzte Begegnung war am 08.Oktober 2017 und ich war wirklich sehr gerührt, als Reinhard zu Beginn seines Konzerts erzählte, wie froh er sei, sein Versprechen von damals einhalten zu können. Seine Beteuerung, dass er uns alle sehr vermisst hätte, habe ich ihm sofort und uneingeschränkt abgenommen. Die Enttäuschung über die zweimal verschobene Tournee und gleichzeitig die Freude und das Erstaunen darüber, dass wir alle (oder zumindest sehr viele, wie ich das aufgefasst habe!) die Geduld aufgebracht haben, zwei Jahre im Voraus Karten für ein Konzert zu kaufen UND dann auch wirklich zu kommen, hat er glaubhaft vermittelt. Überhaupt fand ich es erstaunlich, wie vertrauensvoll und offen er über seine Gefühle und Gedanken sprach. Mehr als in früheren Zeiten, wie ich meine.
Er entschuldigte sich dafür, dass seine Stimme - wie Eingangs im "Orpheus" gesungen - aufgrund einer Erkältung sehr rauchig/kratzig klingen würde. Tatsächlich war während dem ganzen Konzert deutlich zu hören, dass ihm ab und zu die Stimme wegblieb bzw. er bei hohen Passagen nicht sauber singen konnte. Mich hat es nicht gestört und ich bin auch nicht der Meinung, dass ein fast 80jähriger Mann von der Stimme her 12 Konzerte singen können muss. Selbst ohne Erkältung ist es völlig normal, dass eine untrainierte Stimme halt irgendwann wegbricht. Schön fand ich es, als bei "
Über den Wolken" der ganze Saal einstimmte und durchgehend mitgesungen wurde. Nicht nur der Künstler war in diesem Moment persönlich berührt und freute sich über die Unterstützung.
Mir persönlich gingen vor allem die Lieder "
Das Haus an der Ampel", "
In Wien", "
Die erste Stunde", "
Dann mach's gut", "
Weißt Du noch, Etienne?", "
Gerhard und Frank", "
Was will ich noch mehr" und "
Viertel vor Sieben" unter die Haut, weil er mich hier sehr persönlich angesprochen hat und es tat gut, einfach mit Tränen in den Augen seinen Worten zu lauschen. Er gab jedem einzelnen Lied die Zeit, die es brauchte, seine Zwischentexte sind ja schon immer die "besondere Zutat" bei seinen Konzerten und das gilt auch für dieses Konzert in Bamberg 2022. Witzig, pointiert, auf den Punkt und unmissverständlich schaffte er es, seine mitgebrachten Geschichten miteinander zu verbinden. Zur Frage, warum er nicht schon längst selbst eine Biografie über sein Lebenswerk veröffentlicht hat, entgegnet er vollkommen überzeugend, dass er sein Leben durch seine Lieder erzählt und jedes Lied auch als eine Art "Hörbuch" betrachtet werden kann. Diese Betrachtungsweise ist ja nicht neu, so ähnlich hat er sich ja - z.B. bei Interviews - schon immer ausgedrückt, aber innerhalb eines Konzertes eben noch nicht. Klare Ansage also: wer wissen will, wie ich denke, was mir wichtig ist und welche Themen mich bewegen, der muss sich nur meine Lieder anhören!
Der ganze Abend, das komplette Konzert wurde eingerahmt durch die Themen "
Familie", "
Freunde" und "
Biografie". Ich empfand es als angebracht und angenehm, dass sich Reinhard Mey offensichtlich dazu entschieden hat, von den vielen Liedern, die er im Laufe seiner Karriere verfasst hat, diejenigen zu wählen, die sehr persönlich und konkret über ihn und sein Leben erzählen.
Seine Kinder sind ihm sehr wichtig. Das zeigt er auf dem Konzert durch die Lieder, welche er passend ausgewählt hat. Das ehrt ihn und zeigt mir auch, hier steht ein Mensch, der nicht nur sagt, das ihm Familie wichtig ist.
Die Begegnung zwischen "
Dieter Malinek, Ulla und ich" passte ebenfalls gut in diesen familiären bzw. autobiografischen Rahmen und es bleibt für mich daraus vor allem die Erkenntnis "verlassen werden tut doch mehr weh als du denkst" und gehört wohl einfach auch zum Leben dazu.
Wer hoffte (oder sich wünschte), dass er sich zu aktuellen politischen (Streit-)Themen wie z.B. Ukraine Krieg, Corona Pandemie, Energiepreise, Klimakrise usw. äußert, der wurde enttäuscht. Ich finde die Zusammenstellung des Programms sehr gut und passend. Die offene Benennung von tagespolitischen Themen hat mir nicht gefehlt, im Gegenteil, wurde damit deutlich, was Reinhard Mey WIRKLICH wichtig ist.
Naja und in seiner eigenen Art hat er sich schon irgendwie mit einem Augenzwinkern auch zu dem - teilweise ja auch hier auf dem Forum intensiv und leidenschaftlichen diskutierten - Thema "Gendern" geäußert
(wer hat's auch gemerkt?). Ein bißchen Gesellschaftskritik hat er aber auch im Gepäck gehabt mit "
Ich liebe es unter Menschen zu sein" und "
Männer im Baumarkt". Die offensichtliche Liebeserklärung "
Ich liebe Dich" an seine Frau hat er passend direkt nach der "Liebeserklärung" an einen Teil seines Publikums gesetzt mit "
Der Vater und das Kind" und etwas später passte in diesem Zusammenhang auch "
Zimmer mit Aussicht" als ein Dankeschön an alle Herbergsmütter und -väter, die sich im Laufe seiner Tour-Karriere um sein Wohlergehen gekümmert haben.
Für mich ist das Programm eine runde Sache und das Konzept dahinter gefällt mir gut. Reinhard Mey nutzt die Gelegenheit, in seinem 80.Lebensjahr noch einmal auf Tour gehen zu dürfen/können und sich bei seinem Publikum und allen, die ihn auf seinem Lebensweg begleiten haben, zu bedanken und ihnen seine Wertschätzung zu zeigen! Es ist KEINE Abschiedstouree und ich glaube ihm, dass er gerne in ein paar Jahren noch einmal mit uns in Bamberg (oder woanders!) zusammenkommen würde.