Drei neue Buchveröffentlichungen nicht von, sondern über Reinhard Mey im Mai, September & November 2022
Verfasst: Mi 11. Mai 2022, 21:11
Ihr Lieben,
am 21. Dezember 2022 wird Reinhard 80 Jahre alt. Die Vermutung liegt nahe, dass drei Buchveröffentlichungen in diesem Zusammenhang stehen: Im Mai 2022 ist das Buch „Meylensteine – Reinhard Mey und seine Lieder“ von Michael Schneider im Verlag „rüffer & rub“ erschienen. Im September 2022 wird eine zweite Veröffentlichung folgen: „Reinhard Mey – Ich wollte wie Orpheus singen. Lieder und Chansons“. Angekündigt wird das typisch gelbe Reclam-Bändchen – das hat schon was, finde ich! – so: „Meys Karriere ist ohne Beispiel: ein Dichter, der dem französischen Chanson in Deutschland eine Heimat gegeben hat; ein Spötter, Tröster und Menschenfreund, dessen Zeilen längst Kulturgut geworden sind. Einige der schönsten Texte aus fast sechs Jahrzehnten versammelt diese Auswahl.“ Das Nachwort des 140 Seiten umfassenden Bändchens stammt von Oliver Kobold, der im November 2022 wiederum ein eigenes Buch über Reinhard Mey bei Reclam nachlegen wird: „Reinhard Mey. 100 Seiten“. In Reclams Programmvorschau für den Herbst 2022 heißt es: „Oliver Kobold blickt auf die wichtigsten Stationen von Meys langer Karriere und zeigt, was seine Lieder, ihre Sprache und Wirkung so unverwechselbar und einzigartig macht.“
Die erste dieser drei Veröffentlichungen ist also kürzlich erschienen und trägt den – wie ich finde – etwas klamaukigen Titel „Meylensteine“; dass es vor einigen Jahren eine recht erfolglose Fernsehsendung mit gleichem Titel gegeben haben soll – da soll der Titelgeber allerdings der Musiker Gregor Meyle gewesen sein – dürfte einzelne Fernsehgucker irritieren. In der Ankündigung des Verlags wird versprochen: „Der Komponist und Musikwissenschaftler Michael Schneider nimmt uns mit auf eine musikalische Zeitreise zu einem der populärsten und prägendsten deutschen Musiker und fächert anhand von 60 ausgewählten Liedern und 28 Alben ‚Meylensteine‘ eines Lebens als Liedermacher auf.“ Ich habe das 180 Seiten schmale Büchlein in einem Rutsch durchgelesen (die meisten Seiten sind aufgrund sehr kurzer Kapitel nur halb bedruckt) und muss enttäuscht feststellen: Das war wohl die ermüdendste musikalische Reise, die ich je gemacht habe. Ich muss – für mich – das enttäuschende Fazit ziehen, dass es Michael Schneider meiner Einschätzung nach auf keiner einzigen Seite gelingt, der Popularität von Reinhards Liedern und – wenn man so will – ihrer Seele auf die Spur zu kommen.
Michael Schneider macht – meiner Meinung nach – den grundsätzlichen Fehler, dass er Reinhards Lieder anhand der Studio-Arrangements zu analysieren und zu erklären versucht und sich in musikalischen Details verliert, die Musiktheoretiker beeindrucken dürften, letztlich aber den Liedern ihren Zauber nehmen. Ein Lied, das mich immer sehr bewegt hat, ist zum Beispiel „Das Meer“. Michael Schneider beschreibt es so: „Das Stück kippt von der Molltonart e in die Durtonart E: Es ist das Schreiten vom Dunkel ins Licht. Und gegen Ende des Refrains […] wird die Melodieführung mit Terzen, Sexten, Quarten erweitert, was den hymnisch jubilierenden Charakter dieses Liedabschnittes zusätzlich verstärkt“ (S. 28-29). Erklärt die Beschreibung wirklich, warum das Lied so viele Menschen berührt? Über „Maikäfer fliege“ – noch so ein Lied, das viele von uns sicher ins Herz geschlossen haben – schreibt Schneider auf Seite 39: Das Lied ist „in leuchtendes D-Dur getaucht. Nach einem beschwörenden kurzen Intro mit Akkordeon und Grillenzirpen (das auf den Live-Aufnahmen leider fehlt) ist die Szenerie des Liedes schon nach den ersten Texttakten […] in voller Leuchtkraft ausgebreitet.“ Schneiders Bedauern, dass das Grillenzirpen auf der Live-Aufnahme fehle, liest sich schon recht amüsant – apropos Live-Aufnahmen: An keiner Stelle werden die Live-Alben und Live-Programme angemessen gewürdigt, die meiner Einschätzung nach ein sinnvoller(-er) Ansatz für die Betrachtung der Lieder gewesen wären als die Studio-Arrangements – wenngleich die Arrangements Manfred Leuchters natürlich einen großen Anteil an der besonderen Wirkung von Reinhards Liedern haben (und das Können großartiger Gastmusiker!), aber – so meine Einschätzung – nicht unbedingt das Wesen von Reinhards Liedern erklären können (auf S. 53 wird für mich besonders deutlich, dass Schneider zu ungenau zwischen Lied und Arrangement differenziert: „Seine Lieder werden [ab den 1990er-Jahren] stilistisch vielfältiger“ – nee, nicht seine Lieder, vielmehr bringen Manfred Leuchters Arrangements mehr Vielfalt mit!).
Die 55 Lieder (warum eigentlich 55?) im ersten Teil des Buches (im zweiten Teil werden alle Studio-Alben knapp skizziert) werden zum Teil wenig nachvollziehbar miteinander verglichen oder etwas unbeholfen gegenübergestellt, zum Beispiel auf Seite 33 „Du bist ein Riese Max“ mit „Lilienthals Traum“, denn jemand, der wie Max seit seiner Schulzeit auf „Flügeln aus Gedanken“ gesegelt sei, sei schließlich auch Otto Lilienthal gewesen. Hm. Dass Reinhards französische Karriere und Lieder nahezu vollständig ausgeblendet werden – okay. Dass alle Alben wikipediahaft auf anderthalb Seiten skizziert werden – nicht wirklich erhellend. Dass die Alben nur punktuell vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit betrachtet werden – hätte ich sinnvoll gefunden. Dass bemerkenswerte Lieder wie „Das Narrenschiff“ nicht genau unter die Lupe genommen werden – vertane Chance! Dass Schlüssellieder wie „Viertel vor sieben“ nicht mal erwähnt werden – schon doof. Dass Reinhards tabellarische Biografie ausformuliert wird – nicht wirklich notwendig.
Wie sang Reinhard einst in „Das Etikett“? „Die Lieder sind noch immer schön, nur die Hülle ist im Dutt“! Das trifft für mich wohl auf „Meylensteine“ zu. Reinhards Lieder begleiten mich ein Leben lang, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht irgendeines seiner Lieder höre, summe, singe oder zitiere. Sie trösten mich, bauen mich auf, bringen mich zum Lachen. Mit vielen Liedern verbinde ich sehr persönliche Erfahrungen – die Geburten unserer Kinder, das Abschiednehmen von Freunden und Verwandten, kleine und große Lieben, kurzum: Mit wohl allen wichtigen Ereignissen in meinem Leben verbinde ich auch irgendein Lied aus Reinhards Feder. Sie gehören zu mir und zu meinem Leben. Aber Michael Schneiders Buch werde ich sicher schnell zurück ins Buchregal stellen…
Ich bin gespannt, was Oliver Kobold über Reinhards Lieder schreiben wird.
Liebe Grüße aus Hannover
Marc
am 21. Dezember 2022 wird Reinhard 80 Jahre alt. Die Vermutung liegt nahe, dass drei Buchveröffentlichungen in diesem Zusammenhang stehen: Im Mai 2022 ist das Buch „Meylensteine – Reinhard Mey und seine Lieder“ von Michael Schneider im Verlag „rüffer & rub“ erschienen. Im September 2022 wird eine zweite Veröffentlichung folgen: „Reinhard Mey – Ich wollte wie Orpheus singen. Lieder und Chansons“. Angekündigt wird das typisch gelbe Reclam-Bändchen – das hat schon was, finde ich! – so: „Meys Karriere ist ohne Beispiel: ein Dichter, der dem französischen Chanson in Deutschland eine Heimat gegeben hat; ein Spötter, Tröster und Menschenfreund, dessen Zeilen längst Kulturgut geworden sind. Einige der schönsten Texte aus fast sechs Jahrzehnten versammelt diese Auswahl.“ Das Nachwort des 140 Seiten umfassenden Bändchens stammt von Oliver Kobold, der im November 2022 wiederum ein eigenes Buch über Reinhard Mey bei Reclam nachlegen wird: „Reinhard Mey. 100 Seiten“. In Reclams Programmvorschau für den Herbst 2022 heißt es: „Oliver Kobold blickt auf die wichtigsten Stationen von Meys langer Karriere und zeigt, was seine Lieder, ihre Sprache und Wirkung so unverwechselbar und einzigartig macht.“
Die erste dieser drei Veröffentlichungen ist also kürzlich erschienen und trägt den – wie ich finde – etwas klamaukigen Titel „Meylensteine“; dass es vor einigen Jahren eine recht erfolglose Fernsehsendung mit gleichem Titel gegeben haben soll – da soll der Titelgeber allerdings der Musiker Gregor Meyle gewesen sein – dürfte einzelne Fernsehgucker irritieren. In der Ankündigung des Verlags wird versprochen: „Der Komponist und Musikwissenschaftler Michael Schneider nimmt uns mit auf eine musikalische Zeitreise zu einem der populärsten und prägendsten deutschen Musiker und fächert anhand von 60 ausgewählten Liedern und 28 Alben ‚Meylensteine‘ eines Lebens als Liedermacher auf.“ Ich habe das 180 Seiten schmale Büchlein in einem Rutsch durchgelesen (die meisten Seiten sind aufgrund sehr kurzer Kapitel nur halb bedruckt) und muss enttäuscht feststellen: Das war wohl die ermüdendste musikalische Reise, die ich je gemacht habe. Ich muss – für mich – das enttäuschende Fazit ziehen, dass es Michael Schneider meiner Einschätzung nach auf keiner einzigen Seite gelingt, der Popularität von Reinhards Liedern und – wenn man so will – ihrer Seele auf die Spur zu kommen.
Michael Schneider macht – meiner Meinung nach – den grundsätzlichen Fehler, dass er Reinhards Lieder anhand der Studio-Arrangements zu analysieren und zu erklären versucht und sich in musikalischen Details verliert, die Musiktheoretiker beeindrucken dürften, letztlich aber den Liedern ihren Zauber nehmen. Ein Lied, das mich immer sehr bewegt hat, ist zum Beispiel „Das Meer“. Michael Schneider beschreibt es so: „Das Stück kippt von der Molltonart e in die Durtonart E: Es ist das Schreiten vom Dunkel ins Licht. Und gegen Ende des Refrains […] wird die Melodieführung mit Terzen, Sexten, Quarten erweitert, was den hymnisch jubilierenden Charakter dieses Liedabschnittes zusätzlich verstärkt“ (S. 28-29). Erklärt die Beschreibung wirklich, warum das Lied so viele Menschen berührt? Über „Maikäfer fliege“ – noch so ein Lied, das viele von uns sicher ins Herz geschlossen haben – schreibt Schneider auf Seite 39: Das Lied ist „in leuchtendes D-Dur getaucht. Nach einem beschwörenden kurzen Intro mit Akkordeon und Grillenzirpen (das auf den Live-Aufnahmen leider fehlt) ist die Szenerie des Liedes schon nach den ersten Texttakten […] in voller Leuchtkraft ausgebreitet.“ Schneiders Bedauern, dass das Grillenzirpen auf der Live-Aufnahme fehle, liest sich schon recht amüsant – apropos Live-Aufnahmen: An keiner Stelle werden die Live-Alben und Live-Programme angemessen gewürdigt, die meiner Einschätzung nach ein sinnvoller(-er) Ansatz für die Betrachtung der Lieder gewesen wären als die Studio-Arrangements – wenngleich die Arrangements Manfred Leuchters natürlich einen großen Anteil an der besonderen Wirkung von Reinhards Liedern haben (und das Können großartiger Gastmusiker!), aber – so meine Einschätzung – nicht unbedingt das Wesen von Reinhards Liedern erklären können (auf S. 53 wird für mich besonders deutlich, dass Schneider zu ungenau zwischen Lied und Arrangement differenziert: „Seine Lieder werden [ab den 1990er-Jahren] stilistisch vielfältiger“ – nee, nicht seine Lieder, vielmehr bringen Manfred Leuchters Arrangements mehr Vielfalt mit!).
Die 55 Lieder (warum eigentlich 55?) im ersten Teil des Buches (im zweiten Teil werden alle Studio-Alben knapp skizziert) werden zum Teil wenig nachvollziehbar miteinander verglichen oder etwas unbeholfen gegenübergestellt, zum Beispiel auf Seite 33 „Du bist ein Riese Max“ mit „Lilienthals Traum“, denn jemand, der wie Max seit seiner Schulzeit auf „Flügeln aus Gedanken“ gesegelt sei, sei schließlich auch Otto Lilienthal gewesen. Hm. Dass Reinhards französische Karriere und Lieder nahezu vollständig ausgeblendet werden – okay. Dass alle Alben wikipediahaft auf anderthalb Seiten skizziert werden – nicht wirklich erhellend. Dass die Alben nur punktuell vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit betrachtet werden – hätte ich sinnvoll gefunden. Dass bemerkenswerte Lieder wie „Das Narrenschiff“ nicht genau unter die Lupe genommen werden – vertane Chance! Dass Schlüssellieder wie „Viertel vor sieben“ nicht mal erwähnt werden – schon doof. Dass Reinhards tabellarische Biografie ausformuliert wird – nicht wirklich notwendig.
Wie sang Reinhard einst in „Das Etikett“? „Die Lieder sind noch immer schön, nur die Hülle ist im Dutt“! Das trifft für mich wohl auf „Meylensteine“ zu. Reinhards Lieder begleiten mich ein Leben lang, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht irgendeines seiner Lieder höre, summe, singe oder zitiere. Sie trösten mich, bauen mich auf, bringen mich zum Lachen. Mit vielen Liedern verbinde ich sehr persönliche Erfahrungen – die Geburten unserer Kinder, das Abschiednehmen von Freunden und Verwandten, kleine und große Lieben, kurzum: Mit wohl allen wichtigen Ereignissen in meinem Leben verbinde ich auch irgendein Lied aus Reinhards Feder. Sie gehören zu mir und zu meinem Leben. Aber Michael Schneiders Buch werde ich sicher schnell zurück ins Buchregal stellen…
Ich bin gespannt, was Oliver Kobold über Reinhards Lieder schreiben wird.
Liebe Grüße aus Hannover
Marc