Nun ja ... ich drück' mal meinen Senf dazu.
Ich stelle mir das vor - irgendwann kommt ein gönnerhafter Zeitgenosse auf die Idee: Mensch, der Manfred wird 70. Das könnten wir doch so richtig mit Stil begehen, in Tateinheit mit einer hübschen Veröffentlichung, auf der sich eine Reihe von Weggefährten, die die Zeit zum Teil zu Weggeführten gemacht hat, sowie einige weitere Herrschaften jüngeren Baujahrs vor dem Dichter und seinem Werk verneigen. Wäre doch ein nettes Geschenk. Ein anderes Menschenkind findet Gefallen an dieser Idee, gibt aber zu bedenken, daß der Herr Hausin ein recht umfangreicher Geist ist, der neben Buchveröffentlichungen, Liedtexten, kabarettistischen Einlagen und so weiter immerhin auch noch für die "Lange Nacht der Poesie" verantwortlich zeichne. Nun, so lautet die Entgegnung, dann sollte es doch ein Leichtes sein, dieses Werk fein zu filetieren und auf diverse Medien aufzuteilen, vielleicht in Form mehrerer CDs, die sich jeweils einer eigenen Kategorie widmen, plus eventuell noch einer gesonderten CD/DVD, die die "Lange Nacht der Poesie" zum Thema hat; 2010 habe man sich ja bereits mit einer solchen DVD auf den Markt versucht, der Aufwand sei also abzuschätzen. Woraufhin sich einige Hebel umlegen und diverse kontaktierte Personen so tun wie ihnen geheißen. Im weiteren Verlauf kommt es erwartungsgemäß zu dem einen oder anderen Problem. Man kennt das ja. Der eine Künstler stellt plötzlich fest, daß ihm doch nicht so viel am Werk Hausins liegt, daß er sich daran beteiligen möchte, der andere kriegt es terminlich nicht hin, eine dritte Station kommt mit rechtlichen Problemen um die Ecke, eine vierter Stelle erzählt von unzureichender Technik, eine fünfte Stelle läßt sich urplötzlich eine Pandemie einfallen, die unschön diversen Beteiligten jeweils einen Teller voll Suppe spuckt, ... und dann ist da auch noch der gnadenlose Kalender, der recht erbarmungslos darauf verweist, daß auch ein 70. Geburtstag sich nur ein einziges Mal ereignet. Im weiteren Verlauf der Ereignisse merken die Verantwortlichen, daß sie vielleicht innerlich darauf vorbereitet waren, die eine oder andere Idee zu knicken, daß aber mittlerweile das Falten und Ablegen eher zum Alltag gehört als das Verbuchen von Erfolgsmeldungen. Irgendwann stellt sich bei ihnen also die Einsicht ein, daß das Ergebnis selbst dann himmelweit von den eigentlichen Vorstellungen entfernt läge, investierte man weiterhin Zeit, Geld, Energie und Arbeit in die Geschichte. Also lautet der Beschluß, daß die Sache enden muß. Es wird das Gesammelte zusammengestellt, anschließend eine Vervielfältigung beauftragt, die sich in diesem Fall artig an Murphys Gesetzgebung hält und sich verzögert. Anschließend gibt man die Box erstens an das Geburtstagskind und zweitens an den Markt weiter. So ungefähr jedenfalls könnte das gewesen sein. Natürlich gibt es diverse Variationen dieses Spekulatius'. Ein Punkt könnte beispielsweise gewesen sein, dass die Plattenfirma gesagt hat "Ich find' das total super, was ihr macht, aber wir wollen das Produkt am Ende auch noch verkaufen, also übertreibt nicht so, daß wir für die Geschichte aus preislichen Gründen keinen Abnehmer finden" ... denkbar.
Ich persönlich kam beim Auspacken und Durchblättern der Box bereits ins Grübeln: meine Wenigkeit hätte ja auf dem Cover beim Untertitel "Die Lieder des Erzpoeten & Eulenspiegel Manfred Hausin" den "Eulenspiegel" ebenfalls in den Genitiv gesetzt, wenn ich mir die Mühe schon beim "Erzpoeten" gebe, beim "2-CD Set" hätte ich das "Set" ebenfalls noch mit Bindestrich angeschlossen (oder zumindest deutlich eher als die "2" an die CD). Bei der einzigen doppelt enthaltenen Adaption "Es fängt schon an zu frieren" wird das "Frieren" mal groß, mal klein geschrieben - schön nach dem Motto "Eins von beiden ist bestimmt richtig" (stimmt auch, nämlich das kleine), die MelanKomiker schreiben sich nicht nur am Anfang, sondern auch in der Mitte groß (so wie auch in der Mitte des Booklets, auf der Box halt nicht). Ist erst mal wurscht, da gibt's wüstere Veröffentlichungen, ehrlich. Es sind halt so ein paar Kleinigkeiten, die ins Auge fallen. Beim Durchlesen des Booklets oder des Textblatts habe ich dann die schlechtere Brille getragen, um solche Sachen zu überlesen. Vielleicht sind mir dabei auch einige weiterführende Informationen durchgerutscht. Beispielsweise wurden zwar die Interpreten, nicht aber die Verfasser der einzelnen Stücke aufgelistet - was mich spätestens beim zweiten Stück der Box interessiert hätte. Daß Carsten Langner als jemand, der offenkundig in Zusammenarbeit mit dem Erzpoeten ein vollständiges Album mit Hausin-Vertonungen vorgelegt hat, in der Box nicht enthalten ist, mag Gründe haben. Ich bin beim Lesen der Liedtitel davon ausgegangen, daß sich Joana, mit der Langner ja ebenfalls zusammengearbeitet hat, mit "Liebe für immer" eine Adaption von diesem Album herausgepickt hat, was sich allerdings als falsch herausgestellt hat. Tendenziell würde ich die Melodie Joanas Haus-und-Hof-Gitarristen Adax Dörsam zuschreiben, bestätigt fand ich das in der Box allerdings nicht. Es hatte was von "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"
. Aber okay, vielleicht ist das in meinem Fall auch falsches Erwartungshaltungsmanagement - wenn sogar bestimmte Interpreten schon dadurch benachteiligt werden, daß sie in der Vorstellungsgalerie des Booklets nicht vorkommen (Lilienthal? Heiko Ahrend?), wie kann ich dann erwarten, daß die Urheber neben Hausin selbst Erwähnung finden ... obwohl - Hausin selbst, obwohl erst einige Seiten zuvor biografisch intensiver unter die Lupe genommen, taucht ebenfalls mit einem Lebenslauf in der Interpretengalerie auf ...? Und ich vermute, die meisten enthaltenen Informationen zu Künstlern fußen auf dem jeweiligen Pressematerial des Künstlers. Das ist zwar in Ordnung, allerdings frage ich mich dann, warum man nicht wenigstens ein wenig auf die Ausgewogenheit der Inhalte geachtet hat. Ein Künstler nimmt mit seiner Außendarstellung eine komplette Seite in Anspruch, andere sind dem Booklet nur einen Sechszeiler wert (wie gesagt: sofern überhaupt), darüber hinaus stilistisch recht unterschiedlich, ... es wirkte entweder unrund oder gar mit der heißen Nadel gestrickt.
Auch Quellenangaben waren nicht zu finden. Natürlich weiß ich, daß das vertretene Titelstück Hannes Waders Album "Nah dran" entnommen wurde, auch Annett Kuhrs/Sue Sheehans Lied "Endlich" erfuhr im Vorfeld eine Veröffentlichung auf "Eine Reise - A Journey", Lilienthals "Jetzt ist Zeit und Stunde da" habe ich zwar schon längere Zeit nicht mehr auf dem Plattenteller gehabt, aber ich meine, das "Spätsommerlied" kommt in dieser Einspielung aus jener Richtung, ... Aber das weiß halt ich als jemand, der sich in den Bereichen tummelt. Ich bin ziemlich sicher, daß das eine oder andere Wörtchen, das wenigstens zur korrekten Jahreszahl führt, bestimmt dem einen oder anderen Konsumenten als Querverweis willkommen gewesen wäre, gerade bei einem umfangreicheren Œuvre wie etwa bei Hannes Wader oder bei fehlenden "offiziellen" Informationen wie bei Lilienthal, Bömmes, Schlögl. Das mit den Quellenangaben hätte ich deshalb interessant gefunden, weil ich wenigstens bei Liederjan und Gottfried Schlögl davon ausgehe, daß hier Material an die Öffentlichkeit fand, das eigentlich im jeweiligen Giftschrank der unveröffentlichten Aufnahmen lagerte. Bei Liederjan deshalb, weil das Trio nicht mehr in der Besetzung existiert, die an der Aufnahme beteiligt war, bei Gottfried Schlögl deshalb, weil ich ziemlich sicher bin, daß die "Lange Nacht der Poesie" als mögliche Quelle für diese Live-Aufnahme ausfällt, da Schlögl meiner Einschätzung nach bereits unverdient unter Tage weilte, ehe die "Lange Nacht" das Licht desselben Tages erblickte.
Ich persönlich besitze zwar einige Poster, weil - lagen und liegen einigen Veröffentlichungen ungefragt bei, tatsächlich in Verwendung gemäß Bedienungsanleitung hatte ich zeit meines Lebens nur ein einziges. Bei den allermeisten Postern kann ich mir schon vorstellen, daß es Personen gibt, die sich diese an eine geeignete Stelle hängen würden. Bei Manfred Hausin oder der Langen Nacht der Poesie fällt mir diese Vorstellung allerdings zugegebenermaßen vergleichsweise schwer. Könnte auch bei den Verantwortlichen so sein, aus diesem Grund fand die Zusatzidee Anwendung "Um es sinnvoller aussehen zu lassen, bringen wir auch gleich noch die Texte der Lieder auf dem Faltding unter". Ich weiß nicht, wie oft der Verantwortliche jenes Gedankengangs von Konsumenten in näherer Zukunft mit nacktem Hintern übers Knie und ohne Abendessen ins Bett gewünscht werden wird, aber er hat's definitiv verdient. Den Text zu Cantus Firmus' "Letztem Lied" hab' ich bis heute nicht nachvollzogen, weil's mir zu blöd ist, angedachten Wandputz mehrfach auseinanderzuschlagen, um dem Rauschen des Flusses entgegenzuwirken, an dessen Gestaden die Aufnahme des Chores dem Vernehmen nach stattgefunden hat, was sich ungünstig auf das rein akustische Textverständnis auswirkt. Textbeilagen sind eine lobenswerte Sache bei einer Veröffentlichung, aber ein wenig praxistauglicher als Plakatgröße dürfen sie durchaus sein.
Was den Inhalt der CDs angeht - wenn man mal ein paar Sorgenfalten wegen Liederjan bzw. Jochen Wiegandt zur Seite läßt, fangen meine Probleme an mit Helmut Debus' "Schifferlied", das mich ziemlich ratlos zurückläßt. Im Nachgang habe ich mir überlegt, ob hier in Ermangelung von Alternativen vielleicht zwei Minuten geschunden werden sollten und daher das Lied Aufnahme in die Box fand. Derselbe Grund könnte vorliegen bei der doppelten Interpretation von "Es fängt schon an zu frieren" bzw. dem neben Hannes Wader doppelt vertretenen Stellmäcke. Im Grunde gehe ich davon aus, dass ab dem Debus-Titel (Titel 14) sich der Fokus verschieben sollte Richtung "Lange Nacht der Poesie" (denn daß Helmut Debus das "Schifferlied" in diesem Rahmen darbot, halte ich für wahrscheinlich). Im Anschluß springt der Inhalt zwischen Hausin-Liedgut, zahlreichen warmen Worten in Richtung Hausin und Lange Nacht der Poesie und Live-Mitschnitten unschön unausgeglichen hin und her. Es stellt sich kein richtiger Fluß mehr ein, und die Frage juckt im Hinterkopf pausenlos, wieso die Box im Untertitel von den "Liedern des Erzpoeten & Eulenspiegel Manfred Hausin" spricht, wenn auf der zweiten CD über weite Strecken keine Lieder präsentiert werden und Manfred Hausin nicht der Urheber der dargebotenen Texte ist. Die Suche nach Gründen für diese Stücke führte mich zu oben beschriebenem Szenario von einer eigentlich größer angelegten Box, die allerdings nicht zustande kam.
Ist es also gelungen? Nun, viele vertretene Lieder sind es. Aber das Album ist es meiner Meinung nach nicht, und das liegt wohlgemerkt nicht an der künstlerischen Leistung von Manfred Hausin oder zumindest den meisten der beteiligten Künstler - die meisten Umsetzungen von Hausins Texten und die jeweilige Interpretation sind durchaus hörenswert. Das Innenleben des Albums verliert allerdings etwa ab der Hälfte der Laufzeit seinen roten Faden und findet ihn bis zum Schluß nicht wieder. Etwas mehr Konzentration auf das Wesentliche wäre wünschenswert gewesen, bevorzugt auf die Liedtexte des Geburtstagskindes, da hier genügend Material vorhanden war für eine äußerst gelungene Einzel-CD. Etwas Ballast abwerfen, weniger Fachfremdes. Natürlich sind die warmen Worte Siegfried W. Kernens aller Ehren wert, selbstverständlich zählt der Beitrag Bernhard Lassahns zu den Glanzpunkten des Albums, aber sie wirken in einer Lieder-Box fehl am Platz. Und das Drumherum in und um die Box herum hat zwar einiges zu bieten, verschenkt allerdings auch vieles durch Unausgewogenheit oder unschöne Lücken, mitunter greift es auch schlichtweg daneben. Woran's letzten Endes lag - wer kann's sagen ... ich hoffe trotzdem, daß das eine oder andere Lied noch über dieses Album hinaus Bestand haben wird.
Gruß
Skywise