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Corona und die Musikbranche

Verfasst: Mo 7. Dez 2020, 09:45
von Viktor
Hallo zusammen,

das Bundesministerium für Gesundheit hat kürzlich in vielen Zeitungen eine Anzeige geschaltet, über die ich jetzt in den sozialen Medien mehrmals gestolpert bin, weil Kulturschaffende in wirtschaftlichen Notlagen sich darin verhöhnt fühlen.

Das Motiv: Ein Künstler entspannt auf dem Rücken mit Gitarre zwischen anderen Instrumenten.
Tagline: "Ich will mein Publikum wieder live erleben. Dafür halt ich mich jetzt an AHA."
(AHA= Abstand/Hygiene/Alltagsmaske)
:abstand: :haendewaschen: :maske:

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Die hauptsächlichen Kritikpunkte, die ich so aufgeschnappt habe:
- "jetzt" hält der Beispielkünstler sich an die Regeln -- Das erweckt den Eindruck, als wäre er die gesamten Monate bislang verantwortungslos gewesen
- Wunsch nach Publikumserlebnis kommt eher als Vergnügung rüber, wobei es doch für viele um berufliche Existenz geht

Was meint ihr?

Schade ist es ja schon, dass mit so wenig Feingefühl gearbeitet worden ist - und das Marketingbudget wächst ja auch nicht auf Bäumen, sondern stammt aus Steuergeldern. Wer ist überhaupt die Zielgruppe? Künstler*innen, denen bislang nicht klar ist, worum es geht?

Ich will immer gern dem verallgemeinernden Politikerbashing etwas entgegenhalten, aber die Verantwortlichen machen es einem nicht gerade einfach.
Erst kürzlich wurde der Beruf meiner Freundin, die Gesundheits- und Krankenpflege, mit der teuer produzierten Unterhaltungssendung "Ehrenpflegas" vom selben Ministerium total verblödet dargestellt: Scheint ein Dauerbrenner zu sein, dass Fachleute vorher nicht gefragt werden...?

Viele Grüße
Viktor

Corona und die Musikbranche

Verfasst: Fr 11. Dez 2020, 16:49
von Marc
Lieber Viktor!
Viktor Zitat: Mo 7. Dez 2020, 09:45
Das Motiv: Ein Künstler entspannt auf dem Rücken mit Gitarre zwischen anderen Instrumenten.
Tagline: "Ich will mein Publikum wieder live erleben. Dafür halt ich mich jetzt an AHA."
(AHA= Abstand/Hygiene/Alltagsmaske) [...]

Was meint ihr?
Ach, wie sagte schon Ulrich Roski: Man darf das alles nicht so verbissen sehen. Sollte es tatsächlich einen einzigen musikbegeisterten Menschen da draußen geben, der durch diese trottelige Anzeige zum Nachdenken angeregt worden ist, sich an „AHA“ zu halten, hat die Anzeige doch etwas bewirkt.

„AHA“ ist in der Region Hannover übrigens die Abkürzung für ein Entsorgungsunternehmen; ich denke bei „AHA“ immer zuerst an die Müllabfuhr und daran, den Papiermüll donnerstags an die Straße zu stellen...

Liebe Grüße
Marc

Corona und die Musikbranche

Verfasst: So 20. Dez 2020, 00:24
von migoe
Hallo Viktor,
Viktor Zitat: Mo 7. Dez 2020, 09:45
Was meint ihr?

Schade ist es ja schon, dass mit so wenig Feingefühl gearbeitet worden ist - und das Marketingbudget wächst ja auch nicht auf Bäumen, sondern stammt aus Steuergeldern. Wer ist überhaupt die Zielgruppe? Künstler*innen, denen bislang nicht klar ist, worum es geht?
ich musste über Deine Frage (n) und darüber, wie ich zu dieser "Kampagne"stehe, erst einmal nachdenken.

Ich möchte den Verantwortlichen nicht unterstellen, sich über die betroffenen Menschen im Kulturbereich lustig machen zu wollen. Eher denke ich, hier fehlt es vollkommen an dem Verständnis darüber, was es für kreative und künstlerisch arbeitende Menschen bedeutet, wenn für sie weder Mitgefühl noch praktische und finanzielle Unterstützung geboten wird in dieser Pandemie.

Aus meiner Sicht zeigt sich hier die absolute Inkompetenz der verantwortlichen Kulturminister*innen des Bundes vor allem aber der Bundesländer, denn ich Deutschland sind vor allem die Länder für die Kunst-und Kulturförderung zuständig. Die haben es allesamt nicht geschafft, die Interessen der Menschen in der Kulturszene innerhalb der Regierungen so zu vertreten, wie es eigentlich ein sollte. Die Eignung für ein Amt zeigt sich halt nicht daran, ab und zu in "normalen" Zeiten über einen roten Teppich zu laufen oder sich auch mal bei den (beliebigen Namen einfügen, je nach Region, in Bayern z.B. die Wagner)-Festspielen zu zeigen.

Es braucht keine Kampagnen, mit denen versucht wird, Verständnis für Corona-Schutzmaßnahmen zu erreichen, sondern vielmehr Lösungen dafür, dass TROTZ dieser Pandemie Künstler die Möglichkeit haben sollten, ihre Arbeit zu verrichten.

Natürlich weiß jeder vernünftig denkende Mensch, dass der einzige funktionierende Weg, eine potentiell lebensgefährliche hochansteckende Krankheit an der (ungehinderten) Verbreitung zu hindern, ist, das Infektionensgeschehen zu kontrollieren. Wenn das nicht mehr geht, müssen Kontakte eingeschränkt werden. In der Rückschau wird es vielleicht die Erkenntnis geben, dass es für die Bekämpfung einer Pandemie nicht pauschale Kontaktverbote braucht, wenn sichergestellt wird, dass es zu geschützten Kontakten kommen kann, z.B. indem alle Teilnehmer*innen eine FFP2-Maske tragen.

Im Moment hilft nach meiner Überzeugung zunächst nur der Lockdown und jetzt muss aber unbedingt an Lösungen für die Zeit danach gearbeitet werden. Und auf keinen Fall darf weiterhin Geld verschwendet werden mit solchen Plakaten und Spots!

Ui, jetzt bin in ich selber überrascht, wie schwer es ist, sich bei diesem Thema festzulegen, weil es halt auch keine Erfahrung dazu bei uns gibt und solange man sich mitten in einer Welle des expotentiellen Wachstums befindet, bleibt einem ersteinmal nichts anderes übrig als abzuwarten, bis diese Welle vorbei ist. 😯

Corona und die Musikbranche

Verfasst: So 20. Dez 2020, 17:03
von migoe
Bin heute bei YouTube auf dieses Video von Melanie Haupt gestoßen und finde, es passt als Statement gut hierher
Melanie Haupt "Lockdown Kultur"
Hier erscheint normalerweise ein Video von YouTube. Bitte wende dich an einen Administrator.
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Corona und die Musikbranche

Verfasst: So 26. Mär 2023, 13:21
von theresaB4
Sehr interessanter Beitrag. Habe sehr gerne gelesen.