Lieber "unglaublicher Mann"
(ich übersetz halt gerne, wenn ich es kann, was mir fremdsprachlich über den Weg kommt - macht die Aussage irgendwie klarer...), liebe Mitschreiben- und -lesendinnen und -de,
wie deutlich sich doch mit zurückliegenden Jahrzehnten und dem Wechsel von einem Lebensabschnitt in den anderen Perspektiven verändern... da lassen sich schwer Ratschläge erteilen, weil doch jeder selbst wissen muss, was er/sie will oder kann, was er/sie bereit ist zu tun... aber vielleicht hilft ja mein Rückblick dabei, eigene Gedanken für die Weichenstellung zu sortieren...
Ich hab Ende der 60er Jahre auf der Zielgeraden der Schulzeit nach meinen ersten Erfolgserlebnisse als Klampfer von Folk und Frühwerken Liedermacher- Frühwerken zwar den Drang gespürt, mich auf Bühnen vor Mikrofonen als "Nachsänger" zu beweisen, aber damals nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, daraus einen Beruf zu machen. Journalist schien mir attraktiver zu sein, Singerei war Hobby, hat mir aber die eine oder andere Mark zur Ergänzung meines Bafög gebracht.
In der zweiten Hälfte der 70er hatte ich parallel zu den Vorbereitungen des Jura-Examens in Bonn meine solistischen Auftritte als Liedermacher - inzwischen auch mit eigenen Liedern oder selbst "eingedeutschten Song" und auch bundesweit Auftritte in der undogmatischen "Alternativ-Szene" mit meiner damaligen Polit-Folk-Kombo "Saitenwind" - also mit Distanz zum "Pläne-Verlag" und dieser speziellen "Kulturszene".
Es ergab sich 1976 über Knut Kiesewetter (der auch die ersten LPs von Hannes produziert hatte..) die Gelegenheit - mitten im Examensstress - der Produktion einer LP für RCA, die 77 unter dem Titel "Kein Grund zur Aufregung" erschien und sich angesichts eingeschränkter Tourmöglichkeiten "bescheidenst" verkaufte. Promotion der Plattenfirma? Fehlanzeige. Die Liederzusammenstellung erfolgte nur zum Teil auf der Grundlage meiner Vorschläge - war also für mich ein Kompromiss, der mir, je größer der Abstand wurde, desto unangenehmer wurde. Immerhin war mein "Katastropheneinsatzplan" 76 auch schon mit "Saitenwind" auf der LP "Bauer Maas - Lieder gegen Atomenergie" erschienen.
Bin 77 im ersten Anlauf durchs Examen gekracht und hab so vier Jahre im Prüfungsstress gestanden, bis ich im zweiten Anlauf 79 den Abschluss hatte. Danach kam - trotz des kommerziellen Misserfolgs der ersten LP - bei einer anderen Plattenfirma in der Schweiz meine zweite LP "Abrechnung" heraus, und auch die erste wurde dort noch mal mit einem anderen Cover neuaufgelegt. Wieder war Kiesewetter Produzent, der diesmal aber auf begleitende Studiomusiker verzichtete und mir völlig freie Hand ließ.
Das hat dann zu meiner eigenen und eigenwilligen, kommerziell jedoch kaum überzeugenden Liederzusammenstellung mit politischen Liedern und Liebesliedern geführt, die aber mich zufriedengestellt hat. In die Plattenläden kam die LP nie, war nur bei VOXPOP über Katalog erhältlich und auf meinen wenigen Konzerten. Der Versuch, die LP auch bei einem linken Plattenverlag in Köln unterzubringen, scheiterte an einem Liebeslied, das der Verlag nicht auf der Platte haben wollte. Ich war zum Kompromiss nicht bereit.
Das war die Ausgangslage, als ich vor der Situation stand, mich auf entscheidende berufliche Weichenstellungen einzulassen. Mir war klar, dass ich mich nach den gesammelten Erfahrungen nicht ökonomisch von der Musik abhängig machen wollte, weil dies - absehbar - zur Einbuße der künstlerischen Freiheit führen würde, und abgesehen davon mir auch reichlich unsicher zu sein schien. Ich hatte nicht die Illusion des großen Erfolgs, der es mir vielleicht erlaubt hätte, künstlerisch einschränkende Ansinnen der Plattenfirmen oder Produzenten abzulehnen...
Also entschied ich mich hauptberuflich/festangestellt (mit allen Konsequenzen der durch den Beruf eingeschränkten Freizeit) für den Journalismus: Volontär, dann Lokalredakteur bei ner kleinen Zeitung, Nachrichtenredakteur im Hörfunk, politischer Korrespondent, Autor, Planer, Moderator - und daneben wollte ich freiberuflich "Liedermacher" bleiben, ohne Chef und Vorgaben, mit uneingeschränkter Freiheit, Lieder zu schreiben und zu singen, wie ich sie wollte...
Schichtpläne haben zwar die Möglichkeiten für Auftritte eingeschränkt und mir auch nicht die Chance gegeben, jederzeit an jedem Ort einen Einfall für ein Lied sofort umzusetzen - aber zumindest konnte mir niemand inhaltliche Vorgaben machen - und ich war auch ökonomisch nie in Versuchung oder unter Druck, für eine "kommerzielle Erfolgschance" Lieder zu schreiben, die mir irgendwann hätten peinlich werden können. Mit diesen "Doppelstandbeinen", wobei ich mit dem einen Bein "künstlerisch tänzeln konnte", hab ich mich dann Anfang der 80er in Stuttgart sogar auf das kurzlebige Experiment einer Rockband eingelassen, die meine Lieder knallig arrangiert hat - leider zu laut, so dass ich das Experiment nicht weitergeführt habe.
Mein Berufsleben hab ich konsequent durchgezogen - genauso wie meine "Parallelexistenz" als Künstler mit professionellem Anspruch, aber ohne Erwartungen auf existenzsichernde Einkünfte. Ich hab es keinen Tag bereut und je länger das "Berufsleben" währte, umso mehr die mir gegebene Möglichkeit der paralellen freiberuflichen Kreativität zu schätzen gelernt, weil sie mir ein Ventil bot, das ich im Hauptberuf nicht zur Verfügung hatte.
Und jetzt als Rentner mach ich nur noch was ich will - als Solist (ohne auf existenzsichernde Gage angewiesen zu sein) und mit einer neuen Band (den "Kanuten"). Und inhaltliche Verschriften macht mir keiner, meine CDs brenn ich selber und singe da, wo ich will. Das ist die künstlerische Freiheit, wie ich sie haben wollte... Insofern gab es mit den Jahren zwar Perspektivwechsel - aber an den Konsequenzen der Weichenstellung, mich ökonomisch nicht auf eine Abhängigkeit von künstlerisch kommerziellem Erfolg einzulassen, hatte ich nie zu knabbern.
Sorry für die Länge - aber Ihr kennt mich ja... bin in der Hinsicht rücksichtlos, nicht zuletzt, weil ich im Hauptberuf zu viele Kompromisse machen musste, wenn es darum ging, mich in Beiträgen kurz zu fassen...
herzlich
Gerd
Damit was geschieht, muss zunächst was passiern.
Muss man, eh sich was ändert, denn erst was verliern?
Eh man sich erholt, bleibt keine Zeit auszuruhn,
denn eh sich was tut, muss man selber was tun.