Herbstgewitter schrieb:
Tja, und hier liegt sie vor mir, kam schnell geliefert. "Chaussestr. 131", wohl sein Debüt-Album. Cover? Sieht gut aus, so wie man es sich wünscht, wenn man etwas Liedermacher-Romantik in sich trägt.
Nicht unbedingt sein Debüt. Es gibt einige frühere Aufnahmen gemeinsam mit Wolfgang Neuss und natürlich seine EP "4 neue Lieder", die beide absolut bemerkenswert sind. Gilt auch für sein "Chausseestraße 131", allein schon wegen des sonderbaren Flairs der Aufnahme.
Die Aufnahmen mit Neuss wurden ebenfalls auf CD veröffentlicht, die "4 neuen Lieder" wurden als Neuaufnahmen dem Album "Warte nicht auf beßre Zeiten" zugegeben, und einige Lieder, die noch früher auf Konzerten oder via Tonbänder verbreitet wurden, finden sich auf dem später erschienenen "VEBiermann".
Den Namen kennt ihr alle, erzähl mir keiner was von "nie gehört". Aber an was denkt ihr postiv und negativ, wenn der Name BIERMANN auftaucht? Habt ihr was von ihm? Ich finde seine Wahrnehmung nochmal spezieller als die von anderen Liedermachern....
Ich hab' fast alles von ihm, wenn auch nicht unbedingt deshalb, weil ich ihn gerne höre. Er ist schon sehr eigen und man tut meiner Meinung nach gut dran,
a) seine Entwicklung chronologisch zu verfolgen. So ein Werk wie "Paradies uff Erden" (1999) oder "Heimkehr nach Berlin Mitte" (2007) erschließt sich einem leichter, wenn man die Entwicklung Biermanns nachvollzogen hat.
und
b) parallel Google über das jeweils aktuelle Zeitgeschehen zu befragen. Es gibt viele Stücke von ihm, deren Inhalt man sich einfach aus der damaligen Zeit heraus erarbeiten muß. Viele Andeutungen werden sich wohl überhaupt nicht mehr vernünftig nachvollziehen lassen, wenn man nicht die Zeit und den Staat Biermanns geteilt hat.
Was ich von Biermann halte, ist eine ziemlich einfache Frage, auf die ich leider nicht ganz so leicht antworten kann. Er ist ein bemerkenswerter Poet, das auf jeden Fall. immerhin hat er neben den tagespolitischen Liedern auch einige zeitlose im Repertoire. Aber mit dem Menschen Biermann und seinen Ansichten, Aussagen und Aktionen hatte ich schon immer große Probleme. Ich gestehe ihm wie auch mir selbst oder anderen zu, im Laufe der Zeit Ansichten zu bestimmten Themen zu ändern. Biermann ist allerdings ein ziemliches Extrem, das vom Sozialisten/Kommunisten zum Sozialdemokraten, zum Grünen, zum Sozialdemokraten (?) und dann zum Christdemokraten wurde und sich plötzlich von Leuten feiern ließ (oder mit Leuten feierte), denen er früher vor die Füße gespuckt hat, wie etwa unlängst mit der BLÖD-Zeitung anläßlich deren Jubiläums.
Biermann macht es einem nicht leicht, seine Musik und Texte zu mögen, da er im Verlauf seiner Karriere häufig in einen fast schon unausstehlichen Jammerton verfällt, und nicht zuletzt auch aufgrund der ziemlich verzerrten Selbstwahrnehmung, die bereits zu DDR-Zeiten einsetzte und bis zum heutigen Tag andauerte. Er weiß natürlich, daß er was kann, und er weiß auch, daß er zu DDR-Zeiten ein wichtiger Teil des Untergrunds war. Er weiß, daß seine Ausbürgerung ein wichtiger Sargnagel für das DDR-Regime war. Aber wie jemand an anderer Stelle schrieb, scheint er das zum Anlaß für die Annahme zu nehmen, die Mauer im Alleingang umgesungen zu haben. Selbst vor dem Herausarbeiten von Parallelen mit Jesus schreckt er an einer Stelle nicht zurück, indem er sich selbst die Dornenkrone aufsetzt ... (Album "Warte nicht auf beßre Zeiten").
Aber - er ist eben ein großer Poet und seine künstlerische Relevanz kann und möchte ich nicht in Frage stellen.
Ich habe ja den Eindruck, dass der an sich schon der wichtigste ist, quasi Degenhard und kurz dahinter er. Aber helft mir, interessiert mich mal. Vorurteile sind gerne gesehen, so läuft es ja halt auch...
Ich würde es nach Möglichkeit vermeiden, Degenhardt und Biermann im selben Atemzug zu nennen, geschweige denn den einen am anderen zu messen, weil ich denke, daß man beiden keinen Gefallen damit tut. Biermann war nie ein ostdeutscher Degenhardt und Degenhardt nie ein westdeutscher Biermann.
Degenhardts "Wichtigkeit" fußt meines Erachtens größtenteils auf seinem Werk und seiner Tätigkeit als Chronist und Kommentator (zeitweise auch als Agitator). Er war der "singende Anwalt", der mit den Schmuddelkindern spielte. Biermann wurde größtenteils aufgrund seiner Person "wichtig". Ich weiß nicht, wie viele Leute seine "Ermutigung" kennen, wahrscheinlich im Osten mehr als im Westen, aber beide Seiten kennen ihn schwerpunktmäßig als den, den man ausgewiesen hat. Und der daraufhin eine Welle auslöste, die ihresgleichen sucht. Wenige nehmen ihn als kritischen Liedermacher wahr, und wenn, dann höchstens vom Hörensagen, denn ironischerweise sind ausgerechnet die Sachen, die seit 1976 häufiger mal im Fernsehen zu sehen waren und sich auch als Album großer Beliebtheit erfreuen, nämlich die Ausschnitte des Kölner Konzerts, so ziemlich das Handzahmste, was Biermann aus seinem damaligen Repertoire aufzubieten hat.
Gruß
Skywise