Hallo Michaela, hallo zusammen!
Ich weiß nicht, welch gar scharöckliche Vorstellung du mit einem Liedermacher verbindest

Es scheint fast so, als visualisiertest du ein grobschlächtiges bärtiges, mit Vorschlaghammer bewaffnetes Ungetüm, das verzweifelt versucht, einen Song zusammen zu schustern.
Falls du ernsthaft glaubst, dass Reinhard Mey sich im Zustand permanenter orgiastischer Musenkuss-Überfälle befindet, so muss ich dich enttäuschen.
Ich weiß, dass die romantische Vorstellung von einem Szenario lockt, in dem der Meister morgens aufwacht, ein sanftes "Pling" vernimmt, und flugs aus frisch gecremter Musenhand noch vor dem ersten Kaffee die fertige Partitur von "Über den Wolken" entgegennimmt….
Wer wünschte sich das nicht? Die Wahrheit sieht allerdings anders aus und riecht zumeist nach ganz ordinärem Schweiß: Auch ein begnadeter Songpoet muss Wort auf Wort folgen lassen, und Harmonie auf Harmonie. Muss ein Gerüst entwerfen und das, was aus tiefster Seele erwächst, in die Kategorien "Brauchbar" und "Müll" sortieren. Muss immer wieder den Roten Faden überprüfen, Harmonien hinzufügen und verwerfen, sich ärgern, sich schnäuzen, viel Kaffee oder Spirituelles trinken, zwischen Zweifel und Freude viel Papier verschwenden, bis schließlich ein geschlossenes Werk vor ihm liegt.
Selbst die von dir und anderen Schubladendenkern offensichtlich so tief im Niveau angesiedelten Schlager sind in der Fertigung oft Schwerstarbeit.
Was zählt und einen Song trägt, ist die Idee - der Rest ist Handwerk. Beides hat Reinhard Mey sicherlich zur Perfektion gebracht.
Er ist für mich einer der großen Liedermacher, auch wenn er die von Sky angesprochene "Kritische Haltung" überwiegend vermissen lässt und von seiner ausgeprägten Gruppenzugehörigkeits-Phobie zu einem Song wie "Bevor ich mit den Wölfen heule" getrieben wurde.
Ich mag diesen mit seiner Verschrobenheit kokettierenden Geschichtenerzähler, der sich schon in den 60ern quasi als Einhandsegler zu seiner ganz privaten Insel aufgemacht hat.
Beim Hören seiner besten frühen Lieder vergesse ich, dass er den Linken, die ihn so gern dabei gehabt hätten, einen entschiedenen Korb gegeben hat. Vergesse, dass er nicht mit Degenhardt, Wader, Wecker oder Mossmann in einem Atemzug mit den sozialen Bewegungen der 60er, 70er und 80er genannt wird.
Die Tatsache, dass ich mit Sky konstatieren muss, dass er musikhistorisch vermutlich nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist durchaus auszuhalten.
Denn wie sagte so schön Kurt Schwitters: "Die Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache"

In diesem Sinne liebe Grüße
*zodiak*