Liebe Anne, liebe Mitlesenden, Mitdiskutierer, ja auch Miteiferer und Ereiferer,
um nicht wieder zu riskieren, dass mein geschriebener Beitrag flöten geht, weil sich - Achtung: Satire: "wieder irgend eine höhere Macht löschenderweise einmischt" - schreib ich jetzt erst mal in Word... so bleibt erhalten, was mir beim Erstabfassen des Textes aus dem Kopf durch die Finger auf die Tastatur fließt. Beruhigt mich irgendwie... auch wenn das Risiko bestehen mag, dass ich weitschweifiger werde als zwingend nötig und damit riskiere, dass sich durch die Wortfülle abgeschreckte Mitlesende stöhnend abwenden, weil sie sich nicht mehr Lektüre zumuten wollen als ein kleines Absätzchen. Aber noch ist Ausführlichkeit ja nicht strafbar...
An Missstimmung und Unmut liegt mir auch nicht, schon gar nicht bei falschen Adressaten, liebe Anne. Es war nicht Deine Ersteinlassung in diesem Thread, die mich zur eruptiven Antwort genötigt hatte. Ich hab volles Verständnis dafür, wenn man sich nicht als Charlie fühlt - muss man ja auch nicht. Und diese unterschiedliche Fähigkeit zur Identifikation mit einer Symbolfigur, die inzwischen für den Ruf nach unzensierter Freiheit zur Satire steht, muss auch keine distanzierende zwischenmenschliche Wirkung entfalten. Dein Lob für meine Lieder ist mir auch nicht entgangen. Übrigens: Bei aller Freude darüber, dass "mein Charlie" hier so viel Anregung zum Gesprächsstoff bietet, bleibt mit ein Restfrust darüber, dass dies den beiden anderen Liedern offenbar nicht gelingt. Dabei halte ich die Auseinandersetzung mit oder sogar Mobilisierung der "schweigenden Mehrheit" (welche ist das eigentlich? Die, die in Dresden nicht mit Pegida demonstriert, oder die, die in Dresden und anderswo nicht mit den Gegendemonstranten demonstriert...?) für unser Land eigentlich für vordringlicher. Aber kann ja noch kommen...
Nicht ernst gemeinte Zwischenfrage: Soll ich hier abbrechen und ein neues Posting beginnen, quasi Teil 2, anfangen, damit es nicht so lang wird? Ich spar mir mal die Albernheit, solange es kein Problem mit der Speicherkapazität gibt...
Ich hangele mich auch mal thematisch durch Deine Antwort:
a) Das Thema "Medien" sehe ich zunächst mal nicht als zwischen uns kontrovers an. Gleichwohl war es die Infamie der pauschalen Unterstellung, "die Medien" manipulierten doch alle, die mich aufkochen ließ, aber den Topf hattest nicht Du auf den Herd geschoben. Ich denke auch, dass ich mich nicht wiederholen muss, außer vielleicht in dem Hinweis, dass ich mich in der Ausbildung und in der Ausübung meines Berufes, den ich inzwischen ja nicht mehr festangestellt ausübe, sondern singend
, darin üben musste, durch ganz persönlichen Klartext, wenn er denn in Kommentarspalten zu lesen sein sollte, zur Meinungsbildung beizutragen. Also hab ich gelernt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um Bewertungen geht. Wer da kneift, sollte in Kommentarspalten keinen Platz finden, schon gar nicht dort hinein drängen. Und eine Diskussion wie hier in diesem Thread ist für mich ein Austausch von Bewertungen.
b) Zur Satire, insbesondere durch Karikaturisten: Ich habe höchsten Respekt diesen "Künstlern" gegenüber, die in der Lage sind, mit ein paar Bleistiftstrichen die Dinge so knapp auf den Punkt zu bringen, dass man auf den ersten Blick erkennt, wie ihre Bewertung, also Kommentierung eines zeitgeschichtlichen Phänomens, aussieht. Jeder Text-Satiriker, und da rechne ich Liedermacher mit Neigung zur Satire dazu, ist da im Nachteil. Da kann schon mal sowas wie "Neid in positivem Sinne" aufkommen... Die Übertreibung, ja Überspitzung ist ein wesentliches Element der Satire, um die Aussage auf ihren Kern zu konzentrieren. Ob dies immer gelingt? Da zweifele ich auch.
Hier liegt auch ein Qualitätsmerkmal. Und ob jeder die Bewertung im Kerns der Aussage teilt, teilen muss, und ob ein Karikaturist darauf Rücksicht zu nehmen hat, ob er mit seiner Zeichnung vielleicht den einen oder anderen vor den Kopf stößt, kann schwer beantwortet werden. Wer das Rückgrat hat, sich nicht einer Schere im Kopf zu unterwerfen, wird vielleicht "rücksichtsloser" sein als ein anderer, der dann vielleicht eher der Beliebigkeit anheim fallen mag. Wischi-waschi-Wortkommentare oder "Weichzeichnungen" halte ich eher für langweilig und sie sind gewiss weniger wirkungsvoll.
Sicherlich hat ein Satiriker - zeichnend oder schreibend - nicht die vorderste Absicht einer Kränkung, einer Beleidigung oder Provokation zur Gewalt, wenn er seinem Drang folgt, auf das zu reagieren, was ihn möglicherweise gekränkt, beleidigt, oder zur Reaktion herausgefordert hat. Aber im Reaktionsprozess primär darauf zu achten, dass durch die treffende Antwort, an der man sich versucht, auch ja kein Kollateralschaden bei denjenigen entsteht, die als Adressaten ja gar nicht im Zentrum der Kritik stehen, halte ich schon für eine erste Zensurunterwerfung, die der angestrebten Klarheit in der Aussage die Spitze abbrechen kann.
Beispiele aus dem großen Themenfeld der Glaubensgemeinschaften, weil diese ja immer ganz besonders heikel sind und unter deren Angehörige immer einige besonders sensibel reagieren, besonders wenn von außen auf Missstände satirisch geantwortet wird.
Gleich vorweg: Hier ist tatsächlich ein Schwachpunkt der Satire, gerade bei Karikaturen, denn häufig geht es dann in der anschließenden Auseinandersetzung kaum noch um den Anlass der Satire, sondern um die Überspitzung, und ob diese denn hinzunehmen sei. Schade eigentlich.
- Ein Rohrstock schwingender Bischof, der mit wehender Soutane fliehenden Kindern hinterher hechelt, schien mir im Falle des Bischofs Walter Mixa als durchaus akzeptabel, auch die Fortsetzung, dass er sich so ein vermeintlich züchtigenswertes Kind übern Schoß gelegt hält und den Rohrstock auf dem nackten Hintern tanzen lässt - das bringt auf den Punkt, um was es ging: Gewalt gegen Kinder durch einen Repräsentanten der Amtskirche. Ich hätte daneben auch ein Kruzifix mit einem angesichts des Vorganges weinenden Gekreuzigten ausgehalten...
- Ein durch seine Kleidung erkennbarer Bischof von Limburg, der sich fröhlich pfeifend seiner Notdurft in seine überteuerte sanitäre Anlage entledigt wäre für mich akzeptabel - und die Figur am Kruzifix müsste auch nicht weinen, sondern könnte sich ob des verschwenderischen Umganges mit kirchlichem Vermögen schamvoll die Augen verhüllen.
- Ein unmissverständlich erkennbarer Priester, der mit hochgezogener Soutane und prallem Gemächt hinterm Altar oder durch Kirchenbänke einem kleinen Jungen hinterher rennt, scheint mir als Karikatur angesichts der bekannt gewordenen Perversitäten, die sich Kleriker haben zuschulden kommen lassen, noch als vergleichsweise nachsichtige Reaktion auf die Milde, die Teile des Klerus und der Kirche gegenüber ihren "gefallenen" Priesterbrüdern walten ließen... Statt Rausschmiss nur Versetzung, sodass sie ihr unheiliges Treiben ungehindert fortsetzen konnten. Auch hier der "running Gag": Daneben ein Kruzifix mit einem weinenden Gekreuzigten wäre nicht nur akzeptabel, sondern vielleicht als Reaktion sogar noch zu schwach...
- Ein "aus der Art schlagender" Kölner Kardinal, der sich vermeintlich kunstkritisch und unter Verwendung eines Begriffs aus dem Wörterbuch des Unmenschen über ein buntes Fenster des weltweit unter Kunstkritikern mit am höchsten geschätzten Gegenwartskünstlers äußert und dies als "entartet" bezeichnet, könnte ich mir durchaus karikaturistisch dargestellt mit erkennbaren Parallelen zu noch nicht vergessenen Nazigrößen vorstellen. Auf einen groben Klotz gehört nun mal ein grober Keil. Auch hier mit "running Gag" in der Kruzifixdarstellung, vielleicht einem Gekreuzigten, der sich die Ohren zuhält.
- Die Darstellung eines hohen geistlichen Würdenträgers - ganz gleich, welcher Religion - der Kriegswaffen segnet und sich dabei auf Gottes Willen beruft, während gleichzeitig der Gekreuzigte bittere Tränen vergießt, würde die Sache auf den Punkt bringen.
- Mit diesen Kruzifixdarstellungen habe ich auch insofern keine Bedenken, weil die christliche Kirche selbst doch auch - anders als im Islam - über Jahrhunderte Gottesdarstellungen toleriert, ja sogar in ihren eigenen sakralen Räumen aufgestellt hat...
- Und spitzen wir jetzt noch mal extremer zu: Für jemanden, der nicht in Gottesfurcht erzogen wurde, birgt die Darstellung einer kopulierenden Gottheit angesichts des gewagten Dogmas von der Jungfrauengeburt auch dogmenkritische und durchaus unterhaltsame Aspekte. Die Stunksitzung ist da überhaupt nicht pingelig - aber es wird ja auch manches dann in der Fernsehausstrahlung nicht gezeigt oder mit Pieps unverständlich gemacht. Soweit sind wir schon - also sind doch eigentlich die "Sensiblen" schon weitreichend unter "Naturschutz". Mehr muss doch gar nicht sein...
Soviel mal als Beispiele, die natürlich in einer karikaturistischen Umsetzung nicht von jedem ernst genommen werden müssen und ignoriert werden können. Und wer ernsthaft und tief an sowas glaubt und die Institution Kirche samt ihrer fehlbaren Würdenträger tatsächlich für unantastbar hält, hat - nach meiner Ansicht - keinen Anspruch auf komplette Schonung, wenn es darum geht, sich auch mit einer Karikatur kirchenkritisch zu Wort zu melden. Dass eine Karikatur aber auch mal übers Ziel hinausschießen kann, ist genauso unvermeidbar wie fehlbare Kleriker, die sich ihrerseits über Kollateralschäden doch auch wenig Gedanken machen.
Ob Satire nun Notwehr ist oder graduell ein geringer notwendiges Abwehrverhalten, lass ich mal offen. Da ist die Schwelle vermutlich bei jedem individuell höher oder niedriger. Dass aber zwischen Satirikern und Comedians durchaus betonenswerte Unterschiede bestehen, finde ich schon. Ich halte Satiriker nicht für paranoide Lachsäcke, manche Comedians aber gewiss, bei denen ich mich manchmal frage, was deren Tun noch mit Humor zu tun hat, zumal wenn es an Sinnhaftigkeit mangelt
Helmut hat ja schon geantwortet. Da gehe ich nicht drauf ein - er spricht deutlich für sich und mir in mancher Hinsicht "voll aus der Seele", wenn man sich darauf einlässt, dass es eine gibt...
Ein letzter Punkt, den ich in meiner verschollenen Mail noch drin hatte, und der sich mehr auf Pegida und deren pauschale Medienkritik bezieht, die ja im Forum offenbar vereinzelt (?) unter Hinzuziehung von Verschwörungstheoretikern geteilt wird: Kann man sich eigentlich einen ernstzunehmenden Liedermacher vorstellen, der in derartige Kritik - auch in überzogene Empfindlichkeiten angesichts spitzgriffeliger Karikaturen - mit einstimmt oder sich gar vor den rumpelnden Pegida-Karren spannen ließe?
Und was die Kirchenkritik aus Liedermacherperspektive angeht verweise ich auf den Meyster himself, sinngemäß etwa (weil es mir an bibelfester korrekter Texterinnerung gebricht): Der Minister nimmt den Bischof beim Arm -"Halt du sie dumm, ich halt sie arm..." - einfach eine geniale Formulierung.
herzlich
mit der Bitte um Nachsicht für den Überfluss an Buchstaben...
und Dir, liebe Anne, mit der Versicherung ungetrübter Sympathie
und der Zusicherung, dass Du bislang nicht mit meiner gesungenen satirischen Beißwut zu rechnen hast
Gerd