Persönlicher Konzertbericht vom 8. Oktober 2010
Nachdem ich vor etwa zwei Jahren einen Auftritt des Lothringers verpasst habe, weil ich mich nicht rechtzeitig um eine Karte bemüht hatte, war ich dieses Mal schlauer. Marcel Adam kam jetzt sogar direkt nach Pirmasens ins Kulturcafé 'Pünktchen und Anton'. Davon hatte ich zwar schon gehört, war aber noch nie drin und ahnte nicht, dass da tatsächlich auch manchmal Liedermacher gastieren.
Normalerweise hätte ich eine Anfahrt von zehn Minuten gehabt, aber dummerweise war ich am Nachmittag noch mit meiner Mutter beim Arzt (in Freiburg), sodass es wieder mal eine hektische Angelegenheit mit 200 km Anreise war. Zwanzig Minuten zu spät kam ich im 'Pünktchen und Anton' an.
Lothringen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft der Pfalz. Die französische Grenze verläuft in der Nähe von Pirmasens, an der günstigsten Stelle beträgt der Abstand läppische acht Kilometer. So war es nicht weiter verwunderlich, dass Marcel Adam in Pirmasens offenbar kein Unbekannter war. Im 'Pünktchen und Anton', das normalerweise bequem Platz für 40 Gäste bietet, hatten sich ungefähr 60 Leute eingefunden. Ich öffnete die Tür und trat ein, weiter kam ich nicht. Es gab noch einen Stuhl, auf dem ein Stapel Illustrierte lag, das wurde meiner bis zur Pause. Marcel Adam und das Publikum hatten bereits einen guten Draht zueinander gefunden, und der Sänger plauderte munter mit seinem lothringischen Akzent. Ich fand, der Singsang klang reichlich saarländisch, was natürlich sein kann, denn er hat in Saarbrücken eine Firma, aber als Zugezogene fehlt mir das fachmännische Ohr.
Marcel Adam ist eine hoch gewachsene, schlanke Erscheinung. Auf dem Kopf trug er, obwohl es gut warm war, eine Mütze mit umlaufendem Pelzbesatz und einem kleinen Lothringer Kreuz, das mit dem doppelten Querbalken. Um die Augen hat er 1000 Lachfältchen, die stehen ihm zu mit seinen 59 Jahren. Sein Programm enthielt einen guten Teil gecoverter Lieder. Seine eigenen Stücke handeln alle in irgendeiner Form von der besonderen Situation der Lothringer, die – wie auch die Elsässer – in Frankreich nicht als vollwertige Franzosen gelten, weil sie in der Vergangenheit auch schon zu Deutschland gehörten – der Dialekt und viele Ortsnamen zeugen noch davon. Die Pirmasenser Zeitung titelte ein paar Tage nach dem Konzert: 'Lothringer mit bittersüßen Liedern'. Eines erzählte, wie die Deutschen gegen Ende des Krieges lothringische Männer unter Androhung von Gewalt gegen ihre Familien zwangen, für Deutschland zu kämpfen, dafür wurden sie in Frankreich als Verräter beschimpft und verfolgt. Er liebt seine Heimat, auch wenn man da - immer auf der falschen Seite – "eins uff die Fress kriet". Es gab immer unterhaltsame Zwischentexte; für mich amüsant, wie dabei die Frauen nicht weiblich als 'sie' bezeichnet wurden, sondern sächlich als 'es'. "DAS Marie ging mit dem Schang spazieren…" "Natürlich, ES war wieder mal ganz anderer Meinung…" Das machen die Pfälzer und die Saarländer teilweise auch, aber bei Marcel ging es den ganzen Abend so. *g* Nur ein Mal verlor er sein Lächeln. Zwei Damen im Publikum unterhielten sich laut und ungeniert. Er unterbrach sich – die zwei quasselten weiter. Er sagte: "Ich warte gerne bis Sie fertig sind." Als sie endlich merkten, dass sie störten, fügte er noch etwas giftig hinzu: "Bei Reinhard Mey wären Sie längst rausgeflogen." Naja, letzteres fand ich überflüssig…
In der Pause meldete ich mich bei der Veranstalterin, bis dato hatte nicht einmal jemand meine Karte sehen wollen. Eigentlich sollte ich direkt an dem Tisch an der Bühne sitzen – naja, Bühne gab es nicht… da lag ein Teppich vor einem (unbesetzten) Sofa, das war die Bühne. Das Publikum saß auf lauter unterschiedlichen Stühlen an lauter unterschiedlichen Tischen, an der Decke hingen zwölf unterschiedliche Kristallleuchter, der ganze Raum war gespickt mit lauter unterschiedlichstem Zeug. Ich musste kurz überlegen, wie ich diesen Stil bezeichnen würde, dann war es mir klar: Flohmarkt! Für mich wurde noch ein Stuhl an den bewussten Tisch gestellt, und da traf ich auch gleich eine Bekannte. Sie erzählte mir, dass die Einrichtung dieses Kulturcafés tatsächlich von Flohmärkten stammt und dass man alles käuflich erwerben kann. Wenn irgendetwas verkauft wird, gehen sie los und besorgen Nachschub.
Nun saß ich also ganz nah am Geschehen. Marcel Adam verkaufte in der Pause CDs, unterhielt sich mit seinen Fans, nahm Mitgliedsbeiträge für den Fanclub entgegen (damit werden ausländische Hilfsprojekte unterstützt) und hatte eigentlich gar keine Pause. Auf seinem Gitarrenkoffer prangte ein großer Aufkleber:
En gudden bonjour,
mir schwätzen platt.
Nach der Pause machte der Künstler gut gelaunt weiter, teils deutsch, teils in lothringer Mundart, dabei flirtete er gerne mal mit den umsitzenden Damen. Auch wenn die Themen seiner eigenen Lieder meistens tragisch waren, wurde er doch nie miesepetrig, sondern verbreitete Optimismus. In einem Lied besang er, wie eine Familie im 1. Weltkrieg den Vater verlor und im 2. Weltkrieg den Sohn. Die gecoverten Lieder fallen mir leider nicht mehr ein, das Konzert war bereits am 8. Oktober und ich habe mir keine Notizen gemacht. Da war beispielsweise Von guten Mächten wunderbar geborgen, Wunder gescheh’n von Nena, Lieder von Adamo, Francis Cabrel, Ina Deter und Hannes Wader – alles in allem ein harmonischer Abend mit einem sympathischen Sänger.
Nach dem Konzert musste er sein ganzes Equipment einpacken, er hatte seine eigene Anlage dabei. Wie oft habe ich dabei schon befreundeten Künstlern geholfen, aber hier kam es mir unpassend vor. Man konnte an der Straßenseite des Cafés eine Tür öffnen, die draußen allerdings etwa 50 cm über dem Boden endete. Er parkte den Wagen direkt davor, mobilisierte die Herren an unserem Tisch, ihm die Sachen an diese Kante zu bringen und verstaute alles relativ schnell im Auto. Er hatte nur ungefähr 70 km nach Hause, deshalb übernachtete er nicht in Pirmasens, sondern machte sich gleich auf den Heimweg. Ich hatte nur zehn Minuten nach Hause, deshalb übernachtete ich sehr wohl in Pirmasens.
Viele Grüße von Petra