Und gleich ein Song nachgereicht, der zwar schon anderhalb Jahre alt ist, der letzte Teil aber gerade neu geschrieben.
Wieder zunächst der Text:
Hamsterrad
Unterwegs in Berlin-Mitte ohne jegliche Ortskenntnis
Um so stärker das Bedürfnis nach viel Liebe und Verständnis
Da sprach mich ein junges Mädchen an und griff mir in den Schritt
"Ich bin die Schackeline, na wie wär's, kommst du mit?"
Ich dachte, warum nicht, vielleicht spendiert sie mir ein Bier
Doch wie ging' nicht in die Kneipe, sondern direkt rauf zu ihr
Sie wirkte leicht gehetzt und strich sich durch die Dauerwelle
"Bevor du dich jetzt auszieh'n tust, zunächst das Finanzielle!"
Ich wunderte mich zwar, doch was sein muss, musste sein
Ich dachte zahl' ich gleich in bar und zückte 'nen Fünf-Euro-Schein
Mehr hätt' ich leider nicht, denn ich sei schließlich auf Hartz vier
Da zückte sie ihr Pfefferspray und zeigte auf die Tür Ich sagte
Hey Schackeline
Halt doch mal inne
Atme tief ein und dann wieder aus
Mach dich einfach mal locker und nimm dich mal raus
Dieses Hamsterrad
Diese Höllenmaschine
Sieht doch nur von inne' drinne'
Wie ne Karriereleiter aus
Sie hat das auch gleich eingeseh'n und ging an ihre Kühlschrank
Und holte mir ein Bier, ich sagte höflich "Schönen Dank!"
Sich selber so ein Fläschchen mit der Aufschrift "Club Mate"
Sie prostete mir zu, sie hieß' in Wirklichkeit Renate
Sie käm' auch nicht von hier, sondern aus Löhne/Ostwestfalen
Und ich müsste für mein Bier selbstverständlich nichts bezahlen
Sie tät' an der TU Germanologistik studier'n
Doch irgendwie, da müsse sie das schließlich finanzier'n Ich sagte
Hey Renate
Was ich dir jetzt rate
Atme tief ein und dann wieder aus
Mach dich einfach mal locker und nimm dich mal raus
Dieses Hamsterrad
Diese Höllenmaschine
Sieht doch nur von inne' drinne'
Wie ne Karriereleiter aus
So wurden wir ein Liebespaar und nenn' einander Schatz
Von ihr'm Ersparten kaufte sie ein Haus am Kollwitzplatz
Sie meint, das täte sich rentieren, Eigentum zu haben
Sie gibt, seit wir hier wohnen, sogar Deutsch-Kurse für Schwaben
Französisch hat sie selbstverständlich auch im Angebot
Sie sorgt, muss ich schon eingesteh'n, für unser täglich Brot
Ich selber lern' grad an der VHS, wie ich wen pierce
Mein Nachbar hat schon angefragt, der nette Opa Thierse Ich denk'
Ach Schackeline
Hier drauße' im Grüne'
Hier am Kollwitzplatz am Prenzlauer Berg
Ist das Leben entspannt, und das ist dein Werk
Dieses Hamsterrad
Diese Höllenmaschine
Diesen Stress und den Moloch der Großstadt
Hab'n wir doch beide gründlich satt
Und hier der Link zum Anhören:
http://www.carschti.com/sonstige_Aufnahmen/2015-Hamsterrad.mp3
Die Ursprünge des Liedes stammen von Anfang 2013, als ich nach dreijährigem Exil in der ostwestfälischen Provinz nach Berlin umgezogen bin. Bis es dann fertig war, hat es ein Jahr gedauert, und letzte Woche habe ich den letzten Refrain noch mal neu geschrieben, weil ich damit nicht zufrieden war, und das ganze dann auch noch mal neu aufgenommen.
Mein tatsächlicher Umzug nach Berlin ist aber nicht so spektakulär verlaufen wie im Lied geschildert. Ich wohne auch nicht am Prenzlauer Berg, und "Opa" Thierse ist auch nicht mein Nachbar.
Doch ich hatte nur kurz vor dem Umzug ein langes Interview in der "Zeit" gelesen, ein Interview mit einer Berliner Studentin, die sich ihr Studium als Prostituierte finanzierte (und wohl gerade ein Buch darüber geschrieben hatte). Jedenfalls hatte sie die Geschäftsidee, nach ihrem Studium ein Bordell für gutsituierte, intellektuell hochgebildete und emanzipierte Hausmänner zu eröffnen, solche, die normalerweise niemals ein Bordell betreten würden und sich vorzugsweise am Prenzlauer Berg angesiedelt haben...
Kurz nach meinem Umzug ging eine Äußerung von Wolfgang Thierse (jahrzehntelanger Bewohner des Prenzlauer Bergs, auch schon zu DDR-Zeiten) durch die Medien, in denen er sich darüber beklagte, dass es beim Bäcker um die Ecke keine "Schrippen" mehr, sondern nur noch "Wecken" zu kaufen gebe, und dass sich die Schwaben hier endlich daran gewöhnen sollten, dass sie in Berlin seien, wo es nie eine "schwäbische Kehrwoche" gegeben habe...
Die Idee, dass man sich aus diesem "Hamsterrad", in dem man sich wie auf einer "Karriereleiter" vorkommt, besser befreien sollte, hatte ich allerdings schon damals und habe sie heute noch immer. Auch was Liedermacher betrifft, ich kenne einige, gerade solche, die (noch) nicht so bekannt sind, die unglaubliche Energien aufwenden, um bekannter und bestenfalls "berühmt" zu werden, also "Karriere" zu machen. Manchen gelingt das in einem gewissen Rahmen für eine gewisse Zeit sogar, aber bei nicht wenigen habe ich den Eindruck, dass sie damit nicht wirklich glücklich sind...
Aber ich will nicht über die anderen reden, denn ich selbst war ja viele Jahre auch so drauf. Inzwischen mag ich zwar in den Augen mancher zu wenig ehrgeizig geworden sein (als Liedermacher und im meinem Beruf), aber ich bin glücklicher damit. Insofern ist gerade dieses Lied ein besonders Wichtiges für mich, bei allem Klamauk um Schackeline und Opa Thierse...
"Wenn man als junger Mensch aussah wie ein Hippie und sich einigermaßen treu geblieben ist, sieht man als alter Sack halt aus wie ein Penner und nicht wie Joschka Fischer."
Harry Rowohlt (1945-2015)