Von körperlosen Stimmen, Blechmännern, Glaskugeln, von ungesungenen Liedern, Humor und Respekt

Der Musikmarkt in Deutschland ist im Wandel und das hat Auswirkungen auf alle Künstler/innen in allen Bereichen.
Diskutiere mit uns über die richtigen Wege und falsche Entwicklungen. Was sollte sich ändern, was darf sich nicht ändern? Welche Rolle spielen wir Konsumenten? Was kann die Politik tun?

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Von körperlosen Stimmen, Blechmännern, Glaskugeln, von ungesungenen Liedern, Humor und Respekt

Beitrag von Skywise »

Olle Tom Waits kennt das. Eines schönen Novembertages schaltet man das Radio ein und bekommt ungefragt einen Werbespot für Chips auf die Ohren, der einem den ganzen Tag versaut. Nicht wegen der Knusperdinger, sondern weil da ein griffiger Jingle gesungen wird. Und eigentlich ist es noch nicht mal der, sondern vielmehr die Stimme, die den singt, denn das war seine eigene, oder vielmehr: ein Stimmenimitator, der sein prägnantes Organ nachgeahmt hat. Nun, wahrscheinlich hat er sich bereits davor die Frage gestellt, wer diese ausdauernd geräucherten und anschließend in harten Substanzen zu Tode ertränkten Stimmbandreste für eine Werbung haben möchte. Zumindest hat er an diesem Tag anno 1988 die Antwort gefunden. Der geschätzte Tom Waits ist nun kein grundsätzlicher Gegner von Werbung, immerhin hat er selbst tatsächlich schon einmal als Sprecher einen Spot aufgewertet, allerdings hat er sich immer dagegen ausgesprochen, ein künstlerisches Werk via Werbung in die Belanglosigkeit zu senden oder ein Lied auf ewig mit einem bestimmten Produkt zu verbinden. Zumal dann, wenn der Künstler selbst nicht eingebunden ist und das Label über dessen Kopf hinweg entscheidet. Hier aber lag der Fall etwas anders - das Lied, das nun für Chips stand, stammte nicht aus der Feder von Tom Waits, und er hatte es auch nicht gesungen - es war nur der typisch Waits'sche Tonfall, der dieses Stück verzierte. Eine Stimme ist kein Fall für Urheberrechte, und wenn die Aufnahme ebenfalls nicht von einem stammt, dann hat man auch keine Handhabe bezüglich der Nutzungsrechte (oder international: des Copyrights). Und dennoch zog Tom Waits vor den Kadi. Man könnte es als den Versuch werten, sein Quasi-Markenzeichen und damit sich selbst und sein Werk vor Mißbrauch zu schützen. Und er gewann. Das brachte ihm auf einen Schlag einen Schadenersatz ein, der die Einnahmen aus den Verkäufen all seiner Alben überstieg, und darüber hinaus auch - neben dem Respekt der Musikbranche - den Ruf, ein Mensch zu sein, mit dem man sich besser nicht anlegt ... hat sich aber immerhin nur über drei Jahre gezogen, diese Prozesskette.

Nun gut, mittlerweile schreiben wir das Jahr 2023, da gibt es ganz andere Möglichkeiten, weil sich die Technik dramatisch weiterentwickelt hat. Kann durchaus positiv sein. Paul McCartney sprach unlängst davon, ein altes Demo-Band zu einer neuen Beatles-Single aufmotzen zu wollen. Gut, da gibt's ein Problem, und das ist kein neues: als ich zuletzt durchgezählt habe, fehlte die Hälfte des ursprünglichen Quartetts. Anläßlich des Erscheinens der "Anthology"-Kompilationen '95/'96 hatte man für die beiden Singles "Free As A Bird" und "Real Love" auf tontechnisch minderwertiges Material zugegriffen und als verbliebenes Trio versucht, die Mängel technisch auszumerzen oder mit künstlerischen Mitteln zu übertönen. Ergebnis - na ja, aber es war trotzdem beeindruckend, was man alles bewerkstelligen konnte, wen man nur wollte. Ein ähnliches Verfahren möchte Paulchen heutzutage wieder anwenden. Wahrscheinlich kein Problem in Zeiten, in denen man aus einer fertigen Aufnahme als Privatmensch mehr oder weniger mit einem Mausklick einzelne Tonspuren isolieren kann, um sich entweder für den eigenen Gesang ein Playback zu stricken, oder um sich im Detail anhören zu können, was der Künstler seines Vertrauens da gerade exakt ins Mikro schluchzt. Und die Künstliche Intelligenz befähigt einen sogar zu mehr. McCartney greift Spekulationen zufolge auf ein Demo zurück, das knappe 50 Jahre auf dem Buckel hat. Es ist davon auszugehen, daß dieses Band so gelagert wurde, wie man halt ein Demo-Band lagert, selbst wenn man ein Beatle ist. Demnach ist mit mieser Tonqualität ebenso zu rechnen wie mit Aussetzern, Rissen etc. - natürlich kann die Künstliche Intelligenz diese feinen Lücken heutzutage füllen. Also ist damit zu rechnen, daß man trotz eines aus dem Müll gefischten, ungeliebten Tonbands einen deutlicheren und saubereren John Lennon aufgetischt bekommt als noch vor knapp 30 Jahren. Und die Künstliche Intelligenz kann heutzutage noch viel mehr. Man kann der KI sagen "Ich hätte hier gerne ein Solo im Stil von George Harrison reingequetscht" - und die macht das für einen. Ohne daß der geneigte Hörer wirklich in der Lage wäre, einen Unterschied auszumachen. Wenn der Tontechniker was kann und jemand vor Ort ist, der beurteilen kann, wie ein echter Harrison so was spielen würde.

Ist das erstrebenswert? Okay, ich verstehe jeden, der die Künstliche Intelligenz als große Spielwiese ansieht. Kreativen Menschen unterstelle ich, daß sie sich gerne mit neuem Spielgerät in die Ecke zurückziehen und dort intensiv überlegen, was man damit alles anfangen könnte. Ich will auch Paul McCartney nicht unbedingt einen größeren Vorwurf machen als unbedingt notwendig. Und ob tatsächlich bzw. in welchem Umfang die Künstliche Intelligenz ein bis zwei Beatles ersetzt, muß sich auch erst noch zeigen. Allerdings dachte ich beim Lesen dieses Konzepts recht schnell in die Richtung von Stanisław Lems "Existieren Sie, Mr. Johns?" oder - für die jüngeren Konsumenten - an den Blechmann in L. Frank Baums "Zauberer von Oz" - das Schicksal des kybernetischen Roboters Mr. Johns und des Blech-Holzfällers in "Oz" ist im Ursprung dasselbe: beide ursprünglich menschlich, verlieren sie zunächst durch einen Unfall einen Körperteil, der durch einen künstlichen ersetzt wird, in der Folge verlieren sie jedoch einen zweiten, dritten ..., bis sie schließlich vollständig zu einem Roboter bzw. zu einem Blechmann geworden sind. Der Blechmann in "Oz" verlor dadurch sein Herz, Mr. Johns möglicherweise seine Existenz.

Die Künstliche Intelligenz greift um sich, zumindest im Bereich der Kunst. Wenn man sich auf den einschlägigen Portalen ein wenig in Sachen Musik rumtreibt, bekommt man sehr schnell Audio-Material zu Gehör, das so eigentlich nicht sein kann. Paul McCartney als Interpret von Gilbert O'Sullivans "Alone Again (Naturally)"? Johnny Cash singt "Barbie Girl"? David Bowie singt "Volare"? Ach nee, Quatsch, die Bowie-Version gibt's tatsächlich ... ähm ... Reinhard Mey singt "Ein Bett im Kornfeld" ... obwohl ... ne, gibt's auch ... öhm ... genau, Frank Sinatra singt "Wonderwall"?. Egal. Ist hoffentlich klar geworden, was ich sagen will. Die Künstliche Intelligenz bekommt Informationen zur Verfügung gestellt über das Material eines Künstlers inklusive seiner Stimme, seines bevorzugten Stils, seines Instrumentariums etc. und nutzt dies als virtuelles Handwerkszeug, um anderer Leute Ideen in dessen Stil umzusetzen. Je nachdem, wieviel Ressourcen man in die Hand nimmt und wie geschickt man die Kombinationen wählt oder erstellt, fällt das Ergebnis mal mehr, mal weniger überzeugend aus. Und, hey, ich versteh' das auch vonseiten des Konsumenten. Der interessiert sich vielleicht tatsächlich dafür, wie das klönge, wenn Bob Dylan ausnahmsweise mal Reinhard Mey nachsingt statt umgekehrt, wenn Konstantin Wecker die Puffmutti-"Layla" anstimmt oder Elvis Presley "Muß i denn zum Stä..." - obwohl, hab' ich das nicht auch schon mal irgendwo ...?

Das Problem ist, daß wir uns hier in einem Raum wiederfinden, in dem die juristische Handhabe noch nicht wirklich existiert. Bedeutet nix Anderes als: da wird's noch Knatsch geben, und zwar auf internationalem Niveau, weil - das Internet ist international. Das ist irgendwie natürlich der Gag daran, aber es gibt nach wie vor kein übergreifendes internationales Recht, an das man sich klammern kann, wenn man auf seinem Weg durch die virtuelle Welt an der einen oder anderen Ecke anrumpelt. Wir haben unterschiedliche Interessen, wir haben unterschiedliche Rechtslagen, wir haben ein Problem, denn die Grenze zwischen "nur'n Jux" und geschäftlichen Interessen ist ziemlich dünn und porös, und über das Thema "Rechtslage" brauchen wir uns gar nicht erst zu unterhalten. Wer die Stimme eine Künstlers herausfiltert, um damit ein fremdes oder sogar sein eigenes Stück zu versehen, mag noch nix Böses im Sinn haben, sobald es aber an die Öffentlichkeit gerät, gibt's Probleme, denn wie schon zu Beginn gesagt: es gibt denn Fall Waits, der zumindest in den USA ebenfalls Rechte an seiner nachgeahmten Stimme hat, selbst dann wenn *weder* das Stück *noch* die Aufnahme unter seiner Mitwirkung entstanden. Das in Deutschland in diesen beiden Fällen greifende Urheberrecht wäre also ebenfalls nicht einschlägig, somit driftet man in andere Bereiche des Rechts weiter, womöglich in die des Persönlichkeitsrechts. Im Augenblick drängt die Frage an einigen Stellen des Netzes nach vorne, und ich meine auch: völlig zurecht, denn es gilt, nicht nur die Künstler, sondern praktisch jede Person (sowie jedes Persönchen) des Öffentlichen Lebens möglichst zu schützen. Was in der BRD die Künstler wert sind, haben wir ja während der Pandemie bereits festgestellt, als Vater Staat den Kreativen so tatkräftig unter die Arme gegriffen hat *hüstel* und auch die einschlägigen Medien geschlossen ihr Repertoire mit nationalen Künstlern angereichert haben, um ihnen in Krisenzeiten wenigstens eine Plattform zu bieten *weiterhüstel*, aber hier geht es schon wieder um mehr, denn daß man heutzutage eine Angela Merkel problemlos das Horst-Wessel-Lied singen lassen kann, hat irgendwie ein galliges Geschmäckle, und das werden auch einige andere Leute abseits der Musikbranche schmecken. Dennoch - es werden noch Jahre vergehen, bis man sich auf ein internationales Recht berufen kann, bis man sich in Peking, Daressalaam, Ontario, Bagdad, Bielefeld und anderen exotischen Orten auf einheitliche Regeln geeinigt haben wird. Und ich gehe nicht davon aus, daß die Sachen, die sich aktuell bereits zeigen, so harmlos bleiben werden, wie sie aktuell sind, denn deutlich schneller als die Rechtslage wird sich die Technik weiterentwickeln, es werden zusätzliche Programme vverfügbar werden, der Umgang damit wird idiotensicherer - und über Respekt voreinander oder dem Werk Dritter brauchen wir uns heutzutage auch keine Illusionen zu machen.

Will sagen: lacht, wenn euch was zu lachen geboten wird. Aber paßt auf mit dem Setzen von Links auf Material, das der Künstler so bestimmt nicht gewollt hat. Der Künstler hat vieles getan, um euch zu unterhalten und zu denken zu geben, zahlt es ihm nicht, indem ihr seine virtuellen Körperteile und Erzeugnisse an Orten zeigt, an denen sie nichts verloren haben. Und freut euch an der Kunst, die euch gegeben, und nicht an der, die anderen genommen, und sei's auch nur in Teilen.

Gruß
Skywise
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Clemens (Mi 16. Aug 2023, 23:14)
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Viktor
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Beitrag von Viktor »

Lieber Skywise,

danke für deinen ausführlichen Beitrag und alle die Denkanstöße.

Es folgen ein paar meiner Gedanken, aber vorab:
Irgendwie erwecken KI-Themen bei mir immer eine gewisse Müdigkeit. Ich spüre zwar, dass es eine ganz heiße Baustelle unserer Zeit ist, aber es ist alles so komplex und im schnellen Weiterentwickeln, dass ich mich gar nicht reinfuchsen mag. Vielleicht ist es auch aus Angst vor der Ungewissheit eine gewisse Verdrängungstaktik bis zu dem Moment, an dem man nicht mehr dran vorbeikommt?
Ich habe jedenfalls noch keinen ChatGPT-verfassten Text mehr als 1 Absatz lang gelesen. Und bis zu deinem Beitrag hatte ich die Beatles-Schlagzeilen gekonnt weggeklickt, d.h. mir war bis eben gar nicht klar, was genau da gemacht wurde. So so.

Ich sehe 3 besonders interessante Felder, die du ansprichst:
(1) Stimmen-Imitation.
Hier sehe ich auch sehr großen Bedarf für Gesetze und Regeln; dein Angela-Merkel-singt-Horst-Wessel-Lied-Beispiel illustriert das ja perfekt. Die Sache mit Tom Waits fand ich interessant; kannte den Fall nicht. Ist ja fast ein Hoffnungsschimmer, dass schon früher in solch eine Richtung überhaupt rechtlich nachgedacht wurde. Hat mich aber auch ein bisschen an die Reinhard-Mey-Imitationen in der Allianzwerbung  erinnert -- und ich glaube, gegen diese "handgemachten" Aneignungen der Mey'schen stilistischen Markenzeichen hätte das Original rechtlich keine Handhabe gehabt, hmm? Das tendiert vielleicht eher zu Folgendem:

(2) Kreativprozesse "im Stile von"
Egal wie gut eine KI irgendjemandes Stil nachempfinden kann, tröstet es mich doch, dass es ja die Vorbilder zunächst gegeben haben muss. Auch beim Konsumenten hat der George-Harrison-Stil ja nur einen Wert, weil der "echte" ihn prägen konnte. Und niemand will wohl auf alle Ewigkeit Abklatsche schon vorhandener Dinge konsumieren, also wird es immer eine Sehnsucht nach authentischem Nie-Dagewesenen geben, oder? Und aus Spaß einen Stil nachmachen finde ich nicht so schlimm (zumindest wenn als solches gekennzeichnet): Das kann KI vielleicht brillant schnell und gut, aber haben ja auch echte Menschen immer mal gemacht, YouTube ist schon immer voll von sowas.

(3) Tonspuren isolieren & Audiobearbeitung
Da ging der Fortschritt auch total an mir vorbei, bis ich doch neulich tatsächlich mal aus einem Track eine Gesangsspur isoliert habe, um einem schlechten Mix klarere Stimme zu geben. Da werde ich ja fast noch Fan der Technologie. Fortschritte in anderen Bearbeitungs-Feldern klingen auch attraktiv; Mensch macht sich Maschine zu nutzen, so weit so gut, oder?
Aber so Gedanken, wie du sie äußerst, hatte ich da auch schon: Mit dem superpräzisen Aufdröseln der Aufnahmen steht der Weg für eigene Frankenstein-Kollaborationen natürlich weit offen. Gibts demnächst also Konstantin Wecker im Techno-Remix oder ein Reinhard-Mey-Polka-Album?
Aber die Aufnahmen sind ja wohl rechtlich prinzipiell schon geschützt, ob zerstückelt oder nicht, oder? Ich weiß, dass bei der Band "Die Ärzte" früher schon "Remix-Bootlegs" ein grausiges Phänomen waren - mit den damals viel schlechteren Mitteln haben schon Leute bestehenden Liedern neue Kleider aufgezwungen (und damit versucht, Geld zu machen), wogegen man ja wohl rechtlich gute Handhabe haben dürfte. Dass man das im Internet schwer unterbinden kann, ist natürlich ein anderes Thema.

So weit meine noch leicht unsortierten Überlegungen für den Moment.

Viele Grüße
Viktor

PS:
Skywise hat geschrieben: Mi 16. Aug 2023, 21:02
Reinhard Mey singt "Ein Bett im Kornfeld" ... obwohl ... ne, gibt's auch
Was, was, was, wie jetzt?
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Beitrag von Skywise »

Viktor hat geschrieben: Mi 16. Aug 2023, 23:39
Reinhard Mey singt "Ein Bett im Kornfeld" ... obwohl ... ne, gibt's auch
Was, was, was, wie jetzt?
Es gibt ein 1:30-Minuten-Fragment, ja. Christine Westermann und - natürlich vor allem - Götz Alsmann haben während "Zimmer frei" versucht, RM zum Mitsingen zu bewegen, indem sie "Ein Bett im Kornfeld" anstimmten. Befindet sich auf der ersten "Zimmer frei"-CD.

Gruß
Skywise
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Viktor
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Beitrag von Viktor »

Ah, stimmt, kenne ich sogar, hatte es wohl nur erfolgreich verdrängt und hielt es kurz für einen Auswuchs deiner Fantasie, haha, Verzeihung. (Bei "Zimmer frei" fand ich übrigens meist die "Hausmusik"-Segmente mit Nicht-Musikern gelungener als mit Leuten, die ohnehin von Beruf singen...)
Von den wirklich absurden Computerschöpfungen habe ich übrigens das von dir auch erwähnte "Barbie Girl" von KI-Johnny-Cash neulich wirklich mal angehört, aber konnte dem überhaupt nichts abgewinnen. Gab bei mir auch irgendwie keinen Wow-Effekt, dass das Unmögliche möglich geworden wäre.

Schöne Grüße
Viktor
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Beitrag von Skywise »

Viktor hat geschrieben: Do 17. Aug 2023, 14:55
aber konnte dem überhaupt nichts abgewinnen
Vielleicht den sechs deutschen Liedern von Johnny Cash ("Wer kennt den Weg", "Viel zu spät", "Wo ist zuhause, Mama", "In Virginia", "Kleine Rosemarie", "Besser so, Jenny-Jo")? Oder den beiden spanischen ("El matador", "Fuego d'amor")?
Man darf halt die Original-Texte nicht kennen, sonst krampft's irgendwo ...

Gruß
Skywise
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Petra
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Beitrag von Petra »

Hallo Skywise,

danke für den interessanten und amüsant präsentierten Beitrag.

Mir fiel dazu ein, dass ja im Moment in Hollywood viele Schauspieler streiken, weil sie befürchten, dass sie durch die KI geklont und dadurch überflüssig werden. Ich war eine Weile in Urlaub und habe mich wenig mit Nachrichten befasst, ich weiß nicht, wie weit die Sache inzwischen gediehen ist.

'Zimmer frei' mit Christine Westermann und Götz Alsmann, das habe ich immer gerne gesehen. Herrlich, wie Christine Westermann trotz völligen Nichtvorhandenseins von Talent tapfer gesungen hat. Das hat es bestimmt jedem Nichtsänger erleichtert, seine Pflichteinlage abzuliefern.

An die Sendung mit Reinhard Mey kann ich mich dunkel erinnern. Sprach er nicht von getrennten Schlafzimmern und dass ab und zu Teller und Tassen fliegen? Naja, das ist lange her. Am besten hat mir die Stelle gefallen, an der Götz Alsmann RM eine Gitarre in die Hand drückte und der anfing zu spielen. Er setzte sofort wieder ab und fragte: "Ist die Gitarre denn gestimmt?" Götz Alsmann antwortete mit todernster Miene: "Jaja, die ist gestimmt --- ab Werk." :-D

Viele Grüße von Petra
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wenn man folgendes bedenkt:
Es braucht die Flinte nicht ins Korn zu werfen,
wer sie beizeiten an den Nagel hängt!
(Christian Grote - Chrizz)

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Viktor
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Beitrag von Viktor »

Skywise hat geschrieben: Mi 16. Aug 2023, 21:02
Nun gut, mittlerweile schreiben wir das Jahr 2023, da gibt es ganz andere Möglichkeiten, weil sich die Technik dramatisch weiterentwickelt hat. Kann durchaus positiv sein. Paul McCartney sprach unlängst davon, ein altes Demo-Band zu einer neuen Beatles-Single aufmotzen zu wollen. [...] McCartney greift Spekulationen zufolge auf ein Demo zurück, das knappe 50 Jahre auf dem Buckel hat. Es ist davon auszugehen, daß dieses Band so gelagert wurde, wie man halt ein Demo-Band lagert, selbst wenn man ein Beatle ist. Demnach ist mit mieser Tonqualität ebenso zu rechnen wie mit Aussetzern, Rissen etc. - natürlich kann die Künstliche Intelligenz diese feinen Lücken heutzutage füllen. Also ist damit zu rechnen, daß man trotz eines aus dem Müll gefischten, ungeliebten Tonbands einen deutlicheren und saubereren John Lennon aufgetischt bekommt als noch vor knapp 30 Jahren.
Fast 24 Stunden ist das Video zu "Now And Then" nun draußen, 10,8 Millionen Aufrufe schon, nicht schlecht.
Und? Was sagt ihr zum Ergebnis dieser musikalischen Archäologie-Arbeit? Wurde ein ordentlicher John Lennon aufgetischt?
Hier erscheint normalerweise ein Video von YouTube. Bitte wende dich an einen Administrator.
Hier erscheint normalerweise ein Video von YouTube. Bitte wende dich an einen Administrator.
YouTube-Beschreibung hat geschrieben:
Now and Then's eventful journey to fruition took place over five decades and is the product of conversations and collaborations between the four Beatles that go on to this day. The long mythologised John Lennon demo was first worked on in February 1995 by Paul, George and Ringo as part of The Beatles Anthology project but it remained unfinished, partly because of the impossible technological challenges involved in working with the vocal John had recorded on tape in the 1970s. For years it looked like the song could never be completed. But in 2022 there was a stroke of serendipity. A software system developed by Peter Jackson and his team, used throughout the production of the documentary series Get Back, finally opened the way for the uncoupling of John’s vocal from his piano part. As a result, the original recording could be brought to life and worked on anew with contributions from all four Beatles. This remarkable story of musical archaeology reflects The Beatles’ endless creative curiosity and shared fascination with technology. It marks the completion of the last recording that John, Paul and George and Ringo will get to make together and celebrates the legacy of the foremost and most influential band in popular music history.
--V.
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Beitrag von Benutzer 76 gelöscht »

Lieber Viktor,

ich bin kein Beatles-Experte, aber die Geschichte um den Song, der Wunsch, ihn in die Gegenwart zu holen, und auch das Video haben mich sehr gerührt. Ein Hall aus der Vergangenheit in die Gegenwart, ein Blick in die Vergangenheit. Auf mich wirkt das alles sehr liebevoll gemacht, sehr ehrlich, sehr melancholisch, fast wie ein schöner Traum: Alles verschwimmt, Gegenwart und Vergangenheit, Altes und Neues.

Fänden die Enkel „unserer“ Liedermacher in 30, 40 Jahren eine Schublade mit verstaubten, unbekannten Demos, wünschte ich mir, es würde etwas Ähnliches daraus erwachsen. Dann säße ich hier oder woanders und würde sicher eine Träne vor Rührung und schöner Erinnerungen vergießen.

Liebe Grüße aus Hannover
Marc
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Michael (So 5. Nov 2023, 07:39) • Viktor (Mo 6. Nov 2023, 10:04)
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Reino
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Beitrag von Reino »

"Now and then" klingt jedenfalls wesentlich besser als "Free as a bird" und "Real love", vermutlich wegen KI und womöglich autotune.
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Beitrag von Skywise »

Seit dem 16. August 2023, dem Datum des ursprünglichen Beitrags, hat sich ja einiges in der Szene getan, und ich dachte, dem müsse man Rechnung tragen.

Es ist ja so - die Welt ist bekanntlich ein Dorf. Und in diesem Dorf werden gern Geschäfte gemacht. Und wenn ein gutes Geschäft erwartet wird, dann legt man auch gerne mal 'ne Schippe drauf, um ein Geschäft zu ermöglichen. Nun ist es aber auch so, daß die Welt ein Dorf ist, in dem einem nicht jedes Geschäft wirklich gefällt. Vor allem natürlich denjenigen nicht, deren Existenz dadurch gefährdet wird. Alter Hut seit Erfindung des Wortes "Globalisierung": wer etwas anzubieten hat, das aus einer anderen Ecke der Welt niedrigpreisiger angeboten werden kann, der sollte besser ein Alleinstellungsmerkmal haben, ansonsten laufen einem eins-fix-drei die Kunden weg. Wenn man kein Alleinstellungsmerkmal hat, dann sollte man sich zeitnah nach einer sichereren Scholle umschauen, denn Geiz war schließlich lange genug geil, um verstanden zu haben, daß man sich nicht unbedingt darauf verlassen sollte, daß die lieben Zeitgenossen auf die Billigware verzichten und einem selbstlos weiterhin Brötchen, Butter und Aufstrich finanzieren.

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist natürlich auch ein Geschäft. Schon seit Jahren, machen wir uns nix vor. Das Thema kam vor einigen Monaten etwas mehr in den Fokus, als im November 2022 ChatGPT verfügbar wurde. Mag Leute geben, die über die damaligen Versuche von ChatGPT auch manchmal noch geschmunzelt haben - sei ihnen gegönnt -, aber natürlich sollte jedem klar gewesen sein: das da, das ist nicht das Ende der Entwicklung, das ist der Anfang, und es wird sich rasant entwickeln. Die Entwicklung bis zu obigem Beitrag war danach eben dieses - rasant. Es wurden Plattformen für Künstliche Intelligenz mit unterschiedlichen Schwerpunkten aus dem Boden gestampft. Eine konzentrierte sich beispielsweise auf das Erstellen von Fotos aus der Retorte oder automatisierte Bildmanipulation etc. Dann hat man gemerkt, daß es sinnvoll sein könnte, sich nicht nur um die Sprache oder Allerwelts-Bildchen zu kümmern, sondern auch um Kunst. Und an der Stelle veränderten sich die Einstellungsmöglichkeiten für die Bilder. Oder für die Sprache. Und irgendwann erwischte es auch die Musik, und so entstanden auch hier entsprechende Plattformen. Eine der ... nennen wir sie mal "eierlegenden Wollmilchsäue", bei denen man ebenfalls Gesang aus der Retorte generieren konnte (zur Not inklusive Text etc.), war und ist Suno, zum Zeitpunkt dieses aktuellen Textes in der Version 3.5, vor nur wenigen Monaten warf Udio seinen Hut in den denselben Ring. Beide Programme haben jeweils ihre Vor- und Nachteile, es gibt auch noch einige Alternativen, aber bleiben wir erst mal bei diesen zweien. Über die technischen Details will ich hier nicht viel sagen, das Thema soll ein Anderes sein. Wichtig ist allerdings: beide Programme sind nicht darauf ausgelegt, bestehende Lieder anderen Interpreten gezielt "in den Mund zu legen", im Gegenteil wird in beiden Fällen darauf geachtet, vom Nutzer eingegebene Interpretennamen möglichst zu filtern und zu ersetzen, und es wird auch darauf geachtet, daß bei vom User vorgeschlagenen Texten keine Urheberrechte verletzt werden - was schon ein hartes Brot sein kann, wenn irgendein Künstler schon mal eine 08/15-Floskel in seinen Liedtext eingebaut hat ... egal.

Wenn ich sage, daß die Programme nicht darauf ausgelegt sind, Interpreten zu simulieren, so kann es trotzdem passieren. Es ist mir beim Herumspielen mit udio sogar zweimal in kurzer Folge untergekommen, daß ich sehr wohl wußte, wessen Stimme mir da gerade zum Rumspielen angeboten wurde. Den Mainzer Kabarettisten Lars Reichow hat's bei einem Stück erwischt, bei dem ich im Text sowohl gesprochene als auch gesungene Passagen gefordert hatte. Lars Reichow via Künstliche Intelligenz zu simulieren, war mir allerdings zu doof. Ich weiß, wo er wohnt, das sind von der Arbeit aus 10 Minuten Fußweg, von zu Hause aus wären's 10 Minuten Busfahrt, und wahrscheinlich krieg' ich den auch günstig für diesen Text belatschert, wenn ich's drauf anlege, für Lars Reichow brauch' ich jedenfalls keine Retorte. Und eigentlich will ich auch gar nicht, daß überhaupt eine Stimme verwendet wird, die man zweifelsfrei zuordnen kann. Hörspiel-Legende Reinhilt Schneider war's im zweiten Fall. Scheiß-Versuchung, wenn eine hörbar junge Reinhilt Schneider einem den eigenen Text halb vorspricht, halb einsingt, in dem es ausgerechnet um Literatur geht :-D - wahrscheinlich bleibt das Lied erst mal ein Fragment, denn rigoroses Löschen hab' ich dann doch noch nicht übers Herz gebracht ...

Stellt sich natürlich nun abermals die Frage, die schon im Ursprungsbeitrag genannt wurde: sind das Verletzungen von Copyright oder Urheberrechten oder Persönlichkeitsrechten? Aktuell gibt es drei Major-Labels auf dem Weltmarkt - Sony, Warner und Universal mitsamt ihren jeweiligen Sub-Label-Geflechten. Seit dem unwürdigen Tod von EMI anno 2011 teilen diese drei Labels irgendwas über 70 % des Marktes unter sich auf, meint: wenn was an Musik auf einem Label erscheint, dann kommt es in drei von vier Fällen auf eben einem jener drei Labels oder ihren Sublabeln heraus. Diese drei Labels haben vor etwa drei Wochen in einer gemeinsamen (!) Klage sowohl Suno als auch Udio vor den Kadi gezerrt. Man wirft den dahinterstehenden Unternehmen vor, Versatzstücke aus dem Repertoire der Labels zu verwenden, um die jeweilige Datenbank zu füttern. Ist das so? Nun, ich würd' sagen: natürlich. Sowohl Suno als auch Udio dürften sich welcher Quellen auch immer bedienen, um Klänge und Versatzstücke ebenso zu sammeln wie Informationen über Songaufbau, Besonderheiten bei einzelnen Genres, vielleicht auch das Textgedicht etc., um diese zu analysieren und abzuspeichern zwecks weiterer Verwendung. Und selbstverständlich sind dabei auch urheberrechtlich/via Copyright geschützte Werke. Aber das allein ist - meine Interpretation - keine Verletzung von Copyright oder Urheberrechten. Ich gehe noch weiter: selbst das Verwenden von Versatzstücken oder synthetisierten Elementen aus dieser Datenbank stellt per se erst mal keine Verletzung irgendwelcher Rechte dar. Jeder kann erst mal mit dem künstlerischen Werk Dritter anstellen, was ihm so einfällt. Solange es halt die eigenen vier Wände bzw. den Kreis der engen Freunde nicht verläßt, heißt: schwierig wird's erst, wenn wir an den Punkt der öffentlichen Wiedergabe kommen. Aber dann im gegebenen Fall auch gleich so richtig schwierig, denn es muß unterschieden werden zwischen dem Gebrauch von unveränderten Elementen, nennen wir sie "Samples", und solchen, die durch den elektronischen Wolf der Software gedreht wurden, meint: sie wurden verändert, und das teilweise deutlich über das mittlerweile normale Maß (Tonhöhe, Geschwindigkeit) hinaus. Gut, eigentlich ist davon auszugehen, daß immer derjenige den Schwarzen Peter abkriegt, der die Geschichte in die Öffentlichkeit trägt, sprich: der User, allerdings wäre es wirklich nicht das erste Mal, daß derjenige, der die Manipulation vorgenommen hat, bei der Gelegenheit gleich mitgehängt wird. Oder stellvertretend allein gehängt wird. Über den zusätzlichen Punkt aus dem Ursprungsbeitrag (Persönlichkeitsrechte aufgrund der verwendeten, eindeutig zuzuordnenden Gesangsstile/Klangfarben der Interpreten) wird an dieser Stelle und bei dieser Klage noch nicht gesprochen. Betonung auf "noch".
Ganz allgemein gesprochen urteilen in den USA in den vergangenen Monaten die Gerichte ziemlich konsequent nach dem Credo "Werke, die von einer Künstlichen Intelligenz geschaffen werden, können keinem Copyright unterliegen", aber das letzte Wort ist hier sicher noch nicht gesprochen.
Soweit zu den Schritten der Major-Labels, um ihre Künstler vor einer Ausbeutung zu bewahren.

Späßle gmacht. Es dürfte in erster Linie um die Hoheitsrechte gehen. Wer hat das Recht an einem Lied, vor allem an einem Lied, das aus einer oder mehreren Blaupausen entstanden ist, an der/denen man selbst als Copyright-Inhaber die Rechte hat? Es gibt auch einige Leute, die in dem Vorgehen der drei Major-Labels abzulesen glauben, wohin die Reise gehen wird, nämlich in Richtung eines von den Major-Labels kontrollierten Umgangs der künstlichen Erzeugnisse, meint: "Wenn hier irgendwer Material nutzt, zu dem wir die Rechte haben, um neues Material zu erzeugen, dann sind entweder wir das direkt, oder wir werden entsprechend bezahlt". Da wir an dieser Stelle zunächst von Copyright reden, heißt das nicht, daß die Urheber davon direkt etwas hätten, denn die haben ja mit dem Copyright bereits die Rechte an den Liedern abgetreten an den neuen Besitzer, sondern das wäre ein ungebremstes Aufforsten der eigenen Umsätze. Falls jetzt jemand darüber nachdenken sollte, wer jetzt die Labels daran hindern sollte, den künstlerischen Nachlaß eines Künstlers nachträglich zu verwässern, indem man nicht nur seine Erzeugnisse auf den Markt bringt, sondern auch KI-Material, das auf seinen Erzeugnissen basiert ... gute Frage. In Deutschland mit seinem Urheber- und mit seinen Persönlichkeitsrechten mag das wieder etwas anders ausschauen, aber ansonsten - echt gute Frage.

Jetzt ist die Welt aber auch ein Dorf, wie schon mal gesagt, und in diesem Dorf gibt es auch Künstler. Der eine oder andere mag sich erinnern. Natürlich zählt als "Künstler" nicht nur derjenige, der sich auf die Bühne stellt und vor Publikum agiert, sondern auch der in seinem Tonstudio, der munter Titel komponiert oder textet, sei es für die Werbung, für kleine Computerspiele, ein Radiojingle, ein paar Töne für ein Theaterstück, halt so das, was man mehr oder weniger "Stock-Music" schimpft ... Wenn man bei Udio Geld in die Hand nimmt, bekommt man einen Standard-Account mit einer Reihe von Möglichkeiten für 10 $ pro Monat, bei dem man 1.200 Credits pro Monat erhält, mit jedem einzelnen Credit lassen sich binnen weniger Augenblicke 30 Sekunden Musik generieren, macht 36.000 Sekunden, also 600 Minuten, also 10 Stunden Musik pro Monat, mehr oder weniger nach Wunsch geformt. Aktuell noch mit einigen Wenns und Abers, zugegeben - aber da tut sich ja rasant was -, natürlich sind einige 30-Sekunden-Ergebnisse unbrauchbar, teilweise grenzen sie auch in ihrer Unbrauchbarkeit schon an Körperverletzung, aber mit ein bißchen Routine oder Kreativität kann man Fehlerquellen sehr schnell ausräumen und in Zukunft vermeiden. Das Komponieren von vielleicht nicht super-kreativer, aber halt eben vielseitig einsetzbarer Musik war praktisch nie ein Geschäft, mit dem man bequem, schnell und sicher zur eigenen Immobilie gekommen ist. Aber die aktuellen Entwicklungen der letzten drei, vier Monate sprechen schon gar nicht mehr davon, daß dieser Betriebszweig bald aussterben wird, sondern sie haben ihn direkt für tot erklärt. Und die Künstliche Intelligenz lernt noch.

Die Künstliche Intelligenz, sowohl die von Suno als auch von Udio, wurde mit Massen von Musik gefüttert, Quelle wie gesagt unbekannt. Es muß aber Musik gewesen sein, die mit Informationen versehen war. Je mehr Musik man füttert, desto eher durchschauen die Programme das dahinterliegende Regelwerk und desto leichter ist es, mit Künstlicher Intelligenz hörbare und täuschend echte Musik zu erzeugen. Es ist kein Problem, ein Lied zurechtzuschustern, das Zwölfton- oder Barockmusik simuliert, denn Barock folgt sehr strengen, auch oft gut vermittelbaren Regeln (womit ich nicht sagen möchte, daß Barockmusik leicht zu komponieren wäre). Es ist vergleichsweise einfach, ein leicht verdauliches 08/15-Lied in einem 4/4-Takt zu erzeugen, noch dazu in einem relativ modernen Sound. Generischen Allerwelts-Schlager mit Bumsbeat und einem passenden Briefmarkenniveau-Text passend zum Almabtrieb vom Ballermann oder wie man die ganzen Party-Gelegenheiten so nennt - leichte Übung. Und sind wir ehrlich - weil ja ohnehin Autotune und andere kleine digitale Helferlein recht weit verbreitet sind, fallen digitale Hopplas bei der Erstellung der Melodieführung der Gesangsstimme teilweise noch nicht mal wirklich negativ auf, im Gegenteil. Je komplexer das Lied werden soll, je weiter es sich von 08/15 entfernen soll, desto schwieriger wird es, ein gutes Ergebnis mit Künstlicher Intelligenz zu erzielen. "Schwierig" nicht im Sinne von Eigenleistung - letzten Endes bedeutet es, daß man mehr Credits verwenden muß, um dem Programm einige Durchläufe mehr zu ermöglichen, ehe ein akzeptables Stück Musik entsteht. Auch andere Sachen sind schwierig bis schlichtweg unmöglich. Wenn man in einer bestimmten Sequenz die Dynamik eines Stücks ändern möchte oder den Takt, der hat aktuell vergleichsweise schlechte Karten. Krumme Takte abseits von 4/4 und 3/4 (und Artverwandte) verstehen die Programme aktuell nur sehr schwer. Sowohl Suno als auch Udio scheinen mehr oder weniger auch zu versuchen, einen Liedtext, den man ihnen mitgibt, zu verstehen und in ihrer musikalischen Interpretation zu berücksichtigen. Höhere Poesie kriegen sie aber noch nicht vernünftig hin, und auch Ironie oder Humor ganz allgemein ist ein Problem, mehrsprachige Texte sind manchmal ein echter Graus, wenn man sie singen läßt, ... keine Panik, nächstes Jahr wird's an dieser Stelle schon wieder völlig anders aussehen, weil - rasant! Mal sehen, vielleicht können wir auch über einige Wetten nachdenken, welche weiteren kreativen Personen in nächster Zeit arbeitslos werden oder werden könnten ... Möglicherweise ist bis dahin aber auch schon die Flatrate draußen, mit der man sich 24 Stunden am Tag mit individuell frisch synthetisierter Meditationsmusik einlullen lassen kann. Würde mich auch nicht wundern, wenn es so etwas bereits gäbe.

Im Prinzip feiert die Tonkonserve in drei Jahren ihren 150. Geburtstag, wenn man die erste Aufnahme von "Mary Had A Little Lamb" von Thomas A. Edison von 1877 als Punkt X nimmt. Diese 150 Jahre wurden geprägt von Menschen, die Zeit und Mühen auf sich genommen haben, ihre Instrumente angemessen zu lernen, und von Menschen, die sich kreativ betätigt haben. Deren Tonaufnahmen und dahinterliegende Informationen werden nun dazu verwendet, neue Inhalte nicht nur zu generieren, sondern sich künstlich generieren zu lassen von Programmen, die sich die Erzeugnisse der Kreativität angeschaut haben und nun zu simulieren versuchen. Man nimmt also den Menschen aus der Kunst, der kunstschaffende Mensch wird zu einem kunstsimulations-abnickenden Menschen. Ist ein bißchen widerlich, in diese Richtung weiterzudenken, hab' ich festgestellt. Übrigens - nein, ich glaube nicht, daß in absehbarer Zeit plötzlich kein Mensch mehr Musik macht, davon sind wir noch weit entfernt, wie ich meine. Aber ich gehe davon aus, daß der Markt der kommerziellen Musik grundsätzlich geflutet werden wird mit künstlichen Erzeugnissen, meint: daß der Anteil menschenerdachter oder -gemachter Musik, mit dem man in der Öffentlichkeit konfrontiert wird, in absehbarer Zeit stark sinken wird. Und ich denke, daß einige Leute, die im musikalischen Kreativität-Bereich beruflich unterwegs sind, anfangen sollten, sich über ihren Beruf Gedanken zu machen, denn daß die Dampfwalze auf sie zurollt, sollte spätestens jetzt klar sein, und daß Musiker keine echte Lobby besitzen, sollte spätestens seit der Pandemie auch klar sein. Es wird wahrscheinlich keinen Schutz der Künstler geben, wenn an anderer Stelle in breitem Stil Geld gemacht oder gespart wird ... es geht um die Konkurrenzfähigkeit und letzten Endes um gefährdete Steuergelder aufgrund sinkender Umsätze, da werden sicher auch die Künstler Verständnis für haben und so.

Es ist im Augenblick ein spannendes Leben auf dem Dorf, und im Augenblick passiert eine ganze Menge. Mal sehen, was die Zukunft noch bereit hält. Da brauchen wir wahrscheinlich auch gar nicht so lange auf Antworten zu warten, denn die Entwicklungen laufen ja bekanntermaßen rasant.

Gruß
Skywise
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"Ist wirklich wahr - ich hab's in meinen Träumen selbst geseh'n ..."
Herman van Veen - "Die Clowns"

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