"War es Unachtsamkeit, Täuschung oder Profitgier?" schreiben Maik Baumgärtner, Andreas Borcholte und Ann-Katrin Müller in ihrem Artikel von letzter Woche: Band Weimar: Wie Universal demokratiefeindliche Rocker groß machte
Habt ihr diese Sache mitbekommen? (Es wurde ja in vielen anderen Medien aufgenommen, siehe z.B. auch Artikel beim Rolling Stone oder mdr zum Nachspiel.)
Es geht jedenfalls darum, dass eine Rockband einen Plattenvertrag bei Universal hatte (nach Auffliegen der Angelegenheit aufgekündigt), deren Mitglieder maskiert auftraten und damit praktischerweise ihre Neonazi-Vergangenheit verheimlichten.
Doch nicht genug, die Texte seien ohnehin "demokratiefeindlich, gewaltaffin und kaum kaschiert judenfeindlich", behauptet der Artikel und zitiert aus deren Liedern. Dann ist es ja ein ganz schönes Armutszeugnis, dass das bislang niemandem aufgefallen war und bei der Plattenfirma so durchging.
Die Band hat sich zu alledem geäußert , gesteht die Neonazi-Vergangenheit zweier Mitglieder, aber die wollen das alles längst hinter sich gelassen haben, sich vielmehr seit Anfang der neuen Band für "Vielfalt und Toleranz" engagiert haben. Die Vorwürfe hinsichtlich der aktuellen Texte seien in der Bedeutung verzerrt worden.
Mit einigen Bekannten führe ich momentan heftige Diskussionen, ob die besagten Mitglieder sich tatsächlich geändert haben könnten, nicht womöglich wirklich eine falsche Interpretation irgendwelcher Texte vorliegt. Aus dem Liedermacherkosmos kennen wir das ja auch, dass Dichtung nie frei vom Fehldeutungspotenzial ist.
Mal ein konkretes Beispiel aus dem Spiegel-Artikel:
Rechtfertigung der Band:Juden als Ratten diffamiert
Auch antisemitische Anklänge sind an diesem Abend zu vernehmen: Die Medien seien »gekaufte Marionetten«, von »Schlüsselwärtern« bezahlt, finanziert von jenen, »die du schon dein ganzes Leben hasst«. An anderer Stelle geht es um Wölfe und Ratten, jene Tiere, mit denen Nationalsozialisten gerne sich und Juden verglichen haben. In dem Lied sind die Wölfe das Licht und Ratten der Schatten.
Die Überschrift vom Spiegel "Juden als Ratten diffamiert" finde ich wirklich unpassend gewählt, weil es eben nicht konkret benannt wird (anders als in Texten von wirklich unverschleiert rechtsextremen Bands).Dem Lied „Von Wölfen & Ratten“ verklausulierten Antisemitismus zu unterstellen ist absurd. Es wurden Textauszüge aus dem Kontext gerissen, absichtlich falsch interpretiert und anschließend ins Gegenteil verkehrt. Aus einem Lied gegen Faschismus, Antisemitismus, Gewalt und Homophobie, wird so, dank des „Spiegel“, das Gegenteil dargestellt.
Aber ich glaube der Band kein Wort.längerer Auszug aus dem Songtext hat geschrieben:von wölfen und ratten (von wölfen und ratten)
von lichtern und schatten (von lichtern und schatten)
von allem zu viel und von einer ziemlich kaputten welt (kaputten welt)
und alles was bleibt sind geschichten, aber ich glaube daran
dass irgendjemand dir irgendwann die wahrheit erzählen kann
Ich wünschte, die Spiegel-Autoren wären viel mehr darauf eingegangen, inwiefern auch vage, auf ersten Blick nicht greifbare Bilder und Stichworte handfest als antisemitisch verwurzelt nachweisbar sind. (Dazu gibt es eine gute Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung: "Antisemitische Codes und Metaphern erkennen" ). Denn so sieht es wirklich erst einmal so aus, als könnte einfach nur ein Missverständnis vorliegen -- oder dass die Medien etwas falsches hineininterpretieren (wollen) aufgrund der Vergangenheit.
Ihr merkt schon: Das ganze wühlt mich auf. Einfach weil es eine gewisse Berührung zur Punkrock-Szene gibt (wo dieses vage wir-gegen-die-anderen-Rockzeug ohne klare Stellungsnahmen aber ohnehin immer kritisch gesehen wird). Und weil ich die Deutung von Songtexten immer interessant finde. Und wie die Medien über sowas berichten.
Was meint ihr, könnte es sein, dass die Bandmitglieder sich zum Positiven gewandelt haben, ganz was Anderes meinen und nur versehentlich unglückliche Formulierungen gewählt haben wie die mit Wölfen und Ratten oder von Marionetten und finanzierter Manipulation?
Viele Grüße
Viktor
PS: Ich habe mir fast alle Songtexte der Band jetzt einmal durchgelesen und bin fast verdummt dabei, haha. Aber bei der Gelegenheit bin ich auch über die Zeile "denn was gestern noch galt, das ist morgen schon alt" (Lied: "Ich glaube") gestolpert -- um mal den Bogen zum Liedermacher-Kosmos zu spannen... (Überhaupt bedient sich die Gruppe überall mit Zitaten und Anspielungen: Die Ärzte, Böhse Onkelz, Nena, Rammstein, Die Toten Hosen, Goethe, Volkslieder, Sprichwörter, ...)