Hallo,
nach mehrmaligem Hören fühle ich mich jetzt auch soweit, eine Meinung zu „Mairegen“ abgeben zu können. Eine vorläufige freilich, denn Stimmungen und Zeiten werden auch diese Lieder verändern. Aber genug der Rezeptionstheorie:
Ich habe zwar keine Freudensprünge aufgeführt als ich die CD in Händen hatte, was daran lag, dass ich sie mir in die Arbeit hab schicken lassen und es dann doch für unangemessen hielt. Aber gespannt war ich und wie immer bei Reinhard Mey auch ein bisschen in Sorge, ob er die hohen Erwartungen wieder erfüllen kann. Um soviel vom Fazit vorweg zu nehmen: er kann.
Aber im Einzelnen:
Antje: Ein ungewöhnlicher Opener, der aber die Grundstimmung der Platte schön einfängt. Leise, einfühlsam, mit einer gewissen Grundmelancholie. Die kleinen Beobachtungen sind brillant, die Instrumentierung – Marc hat recht (er hat in vielem recht, das sag ich von jetzt an aber nicht mehr jedes Mal) – ist es auch. Täusche ich mich, oder wirkt die Stimme von Reinhard Mey noch reifer, zerbrechlicher?
Das erste Mal: Das macht er immer wieder gut: Diese Balance zwischen Heiterkeit und Traurigkeit ist eine ganz große Stärke von Reinhard Mey. Hier kumuliert das in den letzten Versen des Liedes. Auch dieses Lied melodisch sehr schön und passend arrangiert.
Gegen den Wind: Ein solches Mutmachlied muss sein nach dem etwas schwermütigen Anfang, dazu groovt es auch noch richtig. Das ist so ein Lied wie „Einhandsegler“ – man ist geneigt, es ein bisschen zu überhören zwischen den Liedern drumherum, wegen der eingängigen Melodie. Aber dieses Lied wird mit der Zeit weiter gewinnen und seine Aussage, die einem an einem Tag platt vorkommen kann, wird man anderntags als weise erkennen.
Gute Seele: Klar, solche Momente kennt jeder, solche „guten Seelen“ auch – hoffe ich zumindest. Hier gefällt mir die Melodie besonders gut. Wie das Lied davor eines, das wieder ein bisschen Mut macht.
Ficus Benjamini: Da ist Reinhard Mey wieder ganz groß. Anhand dieser Pflanze ein Lied über einen MRT-Behandlungsraum, die Schicksale drumherum, die Ängste und Hoffnungen zu machen, ist ganz große Kunst. Dass das wieder wunderbar formuliert ist, versteht sich schon fast von selbst.
Nachtflug: Endlich wieder ein Fliegerlied, bin ich geneigt zu sagen, und ein wirklich schönes noch dazu. Auch wenn es mich jetzt erst recht ärgert, dass in den Flugzeugen immer die Jalousien runtergemacht werden sollen, damit wir Paxe Ruhe geben. Ich könnte den ganzen Flug über in den Sternenhimmel schauen. Und wenn ich an den Anflug auf Havanna vergangenes Jahr denke.. Aber das gehört nicht hierher.
Drachenblut: Jedes Wort ist überflüssig.
Mairegen: Ich muss ja peinlicherweise zugeben, dass ich den Vers von Hoffmann von Fallersleben gar nicht kannte... Aber Mey macht eine schöne Metapher daraus und schafft es wieder, gleichzeitig Mut zu machen und traurig.
Rotten Radish Skiffle Guys: Ja, dieses Lied macht Spaß und an einiges kann ich mich auch erinnern. Es ist nämlich ganz egal, ob man Skiffle, Rock’n’Roll, Heavy Metal, Punk oder sonst was macht: Drei Akkorde genügen, die Musik ist gut und in so einer Band zu spielen ist immer großartig. Aber „Die Mädchen standen auf...“ Na ja, in der Erinnerung vielleicht ein bisschen mehr als in der Realität (bei uns damals zumindest, bei den RRSG wird’s sicher anders gewesen sein
).
Larissas Traum: passt sehr gut an das vorangegangene – denn dass diese Art von Wettbewerb und Vorgeführt-werden Spaß macht, mag ich nicht glauben. Ich hab ja ehrlich gesagt Probleme mit einem rappenden Reinhard Mey, aber beim zweiten mal Hören hatte ich mich schon dran gewöhnt. Musikalisch ist’s nicht so meins, aber der Text haut mich wieder um. Ihm gelingt nämlich etwas ganz Kostbares: Er gibt mir das Mitleid mit den Mädchen und Jungen zurück, die sich vor diese Exekutions-Jurys hinstellen – ein Mitleid, das ich lange verloren hatte.
Spring auf den blanken Stein: Da gefällt mir das ungewöhnliche Bläser-Arrangement besonders gut. Und diese abergläubischen Abzählverse? Ganz ehrlich, so ganz verschwunden sind sie bei mir nicht.
Das Butterbrot: Auf dieses Lied war ich fast am meisten gespannt, weil ich wieder so eine kleine Alltagsbeobachtung erwartet habe, die nur er kann. Und ich hab sie bekommen – auch wenn mir gegen Ende das kleine Butterbrot dann doch ein bisschen zuviel Bedeutung aufgeladen bekommt – ein schönes Lied.
Wir sind eins: Auf den vergangenen Alben hatte ich bei den obligatorischen Liebesliedern manchmal das Gefühl, sie seien etwas routiniert ausgefallen, bei diesem hab ich nicht das Gefühl. Ein sehr schöner passender (fast) Schluss.
Was keiner wagt: Die Zugabe. Schön, dass sie dabei ist, ich hab das Lied auch öfter von Konstantin Wecker gehört und mir immer gedacht, das müsste ich mal haben. Wahrscheinlich hat sich Reinhard Mey so was ähnliches gedacht. Klar kann man über den Text lange diskutieren aber in seiner Reduziertheit finde ich ihn bemerkenswert. Und Konstantins Stimme am Ende des Liedes weht mich an, als wollte sie der brüchig gewordenen Stimme von Reinhard Mey Halt geben. Und somit auch mir.
Was am Ende auffällt, ist das was fehlt: das Lustige, Alberne, Satirische genauso wie das Politische. Ich vermisse es nicht. Es ist ein ruhiges manchmal fast schmerzhaft persönliches Album geworden, das wie kein anderes von Reinhard Mey auf mich den Eindruck macht, „aus einem Guss“ zu sein. Über die Ramones hab ich mal gelesen, man könnte ihre Platten in gute und sehr gute aufteilen. Das gilt auch für Reinhard Mey (bis auf ein, zwei Ausnahmen vielleicht), und dieses ist auf jeden Fall eine sehr gute.
Ach ja Marc, die Lilien, die können einen wirklich fertig machen.
Michael