Holtzwurm schrieb:
Und genau auf Grund dieser Tatsache finde ich es höchst merkwürdig (um nicht zu sagen, hier hat unser Gesetz eine echte Lücke), dass eben dieser Kanzler, der sich nicht nur von seiner eigenen Partei, sondern darüber hinaus vom Bundespräsidenten und noch vom Bunderverfassungsgericht das Misstrauen bestätigen lassen hat (wohlgemerkt von ihm selber ausgelöst, nicht etwa von einer anderen Person oder Partei) nur sehr kurze Zeit später wieder zur Wahl zum Bundeskanzler zur Verfügung steht - für dasselbe Amt, für das ihm von allen möglichen Stellen sozusagen schriftlich das Misstrauen ausgesprochen wurde.
Ähm. Jein. Also ... eigentlich nein.
Zunächst mal - er hat sich nicht das Mißtrauen bestätigen lassen, sondern nur gefragt, ob ihm seine Leute noch vertrauen - das ist ein kleiner Unterschied. Nach einem konstruktiven Mißtrauensvotum wäre er weg gewesen, bei einer gescheiterten Vertrauensfrage sieht die Sache ein klein wenig anders aus ...
Mal ganz abgesehen davon - Schröder war nicht der erste Kanzler, der die Vertrauensfrage gestellt hat. Und Schröder war auch nicht der erste, bei dem die Vertrauensfrage einen etwas bitteren Beigeschmack hatte. Auch Willy Brandt oder Helmut Kohl haben die Vertrauensfrage gestellt und absichtlich (!) verloren.
In allen drei Fällen kann man im Prinzip dieselben Motive erkennen: die Absicht, die eigene Legitimation durch das Volk bestätigen zu lassen. Wäre Schröder deutlich wiedergewählt worden, hätte seine Politik eine ganz andere Durchschlagskraft gehabt, weil er mit dem Willen des Volkes hätte argumentieren können. Wird nun schwerer, geb' ich zu
Meiner Meinung nach müsste unsere Gesetzsprechung für den Fall eines ausgesprochenen Misstrauens verbieten, dass dieselbe Person sich wieder zur Wahl für absolut dasselbe Amt stellt - dazu noch in der Wahl, die nur auf Grund dieses Misstrauensantrages ausgerufen wurde.
Wie gesagt - es war kein Mißtrauensvotum, sondern eine Vertrauensfrage. Da sieht's halt anders aus.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich - vielleicht als einzige in diesem Forum ... - kein Freund von Herrn Schröder bin, sondern ihn nur für einen großartigen Rethoriker und gewieften Showmenschen halte.
Gut, da sind wir einer Meinung.
Andererseits gilt das meines Erachtens auch für einige Leute aus den Reihen anderer Parteien.
Auf eine weitere Regierung unter seiner Führung aber kann ich dankend verzichten. Die letzten 7 Jahre haben mir gereicht - schon lange ging es Deutschland nicht mehr so schlecht wie seit der Regierung Schröder.
Auch da - jein, eigentlich nein.
Sicher, unter Schröder ging's den Deutschen dreckig. Und ich will auch wirklich nicht behaupten, daß die Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lage ergriffen wurden, allesamt Gold waren - das wäre gelogen. Aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht sind sehr, sehr viele falsche Ideen oder gute Ideen falsch umgesetzt worden.
Aber.
Den Karren in den Dreck gefahren hat die Vorgängerregierung, die viele, viele Jahre lang praktisch tatenlos zugesehen und teilweise sogar verschwiegen hat, wie der tiefe Abgrund immer näher und näher kam. Als Schröder an die Macht kam, war es für ein Herumreißen des Steuers bereits viel zu spät. Und als krönende Ironie kommt noch mit hinzu, daß sehr viele gute Reform-Ideen oder -Ansätze (auch die gab's unter Schröder) praktisch während der gesamten Regierungszeit von der Opposition in der Luft zerrissen wurden - und zwar fast immer ohne vernünftige Gegenargumente. Über den Bundesrat als Blockade-Instrument möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen - könnte unschön werden.
Mir zeigt das nur, dass er es nicht sehen und akzeptieren will, dass er und seine Partei eben doch die Wahlverlierer sind - denn wenn auch wenig, so hat die Union eben doch mehr Prozente als die SPD.
Och, wenn man mal bedenkt, daß die Union teilweise schon offen damit geprahlt hat, eine absolute Mehrheit im Bundestag zu bekommen, wenn man denn sofort wählen würde, ist sie doch vergleichsweise kläglich eingegangen bei den Wahlen. Auch hier - mal ehrlich: daß einige CDU/CSU-Politiker ein wenig sehr blaß um die Nasen waren, als sich herausstellte, daß selbst eine Koalition aus Schwarz und Gelb keine Mehrheit im Bundestag haben würde, läßt sich nicht leugnen.
Dieser Anspruch jedoch besteht bestenfalls in seiner Fantasie. Mit welchem Recht glaubt er allen Ernstes, eine eventuelle große Koalition anführen zu dürfen? Nach der Rechtssprechung hat darauf die Partei mit dem höheren Prozentsatz den Anspruch - daran ist hoffentlich auch nicht zu rütteln, nur weil ein Herr Schröder langsam größenwahnsinnig wird ...
Ich weiß nicht, wo Du Deine Rechtssprechung her hast, aber sie gilt nicht für die Bundesrepublik Deutschland. Der Bundeskanzler wird hierzulande vom Bundestag gewählt (Art. 63 Grundgesetz), nicht von der stärksten Regierungspartei ernannt. Und daraus bezieht Schröder das Recht, sich Hoffnungen auf den Posten zu machen, denn - da sind die Grünen, da ist die SPD, da ist die Linkspartei, denen allesamt eine Merkel-Regierung nicht ganz so gut in den Kram bzw. in die eigenen Vorstellungen passen würde und die dann sehr wahrscheinlich sagen: "wenn schon große Koalition, dann wenigstens unter Schröder". Wenn die Linken mitziehen, wird Schröder Bundeskanzler. Auch dann, wenn eine große Koalition an der Macht ist. Rein theorietisch haben sogar noch Westerwelle oder Lafontaine Chancen auf den Kanzlerposten
In der Hoffnung darauf, dass Deutschland überhaupt wieder eine Regierung bekommt, der man vertrauen kann
Das wird schwer ...
Dennoch - Gruß zurück
Skywise
P. S.: Weil's mir gerade wieder einfällt:
In der Schule hat unser Geschichtslehrer uns den Unterschied zwischen "Vertrauensfrage" und "konstruktivem Mißtrauensvotum" so erklärt:
"Konstruktives Mißtrauensvotum: A deutet auf B, und ruft in die Runde 'Der is' doof!' Und alle stimmen ab, ob B doof ist oder nicht. Ist er doof, kann er seine Sachen packen und die Biege machen.
Vertrauensfrage: B ruft in die Runde: 'Sagt mal, haltet ihr mich für doof, oder was?' und alle stimmen ab, ob sie B für doof halten oder nicht. Ist er doof, kann er immer noch sagen: 'Wenn ich nicht mehr mitspielen darf, hol' ich meinen großen Bruder und dann klären wir das, bäh!'. Und dann fragt er seine Eltern, ob der große Bruder mal eben mit rauskommen darf oder nicht. Und wenn er mit rauskommen darf, dann mischt der die Runde erst mal kräftig auf.
Die Runde, das ist der Bundestag. B, das ist der Bundeskanzler. Die Eltern, das ist der Bundespräsident. Der große Bruder, das ist das Volk. Und die Frage, ob B noch weiter mitspielen darf oder nicht, das sind die Wahlen. Also alles leicht wie Kindergarten."