Nicky Zitat: ↑Mi 28. Jul 2021, 13:58
Genau dieser Meinung war ich auch immer.
Vor über einem Jahr habe ich hier im Forum auch dafür geworben, das einfach jeder mal bei sich selber im kleinen anfangen soll sein Verhalten gegenüber der Umwelt zu verändern. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch auf dem totalen Umwelttrip und habe so ziemlich alles ausprobiert. Allerdings zugegebenermaßen mit oftmals ernüchternden Ergebnis.
[…]
Schade, das die Produzenten sich anscheinend nicht genügend Gedanken was ihre Entwicklungen betrifft machen
Du würdest Dich wundern
Ich glaube, das wird ein langer Beitrag, aber fangen wir einfach mal an und ich versuche, daß die Knäcke beim Lesen nicht zu langweilig wird.
Zunächst bin ich der festen Überzeugung, daß man den Umweltgedanken nicht sauber vom sozialen Gedanken trennen kann. Wenn nicht zumindest da, wo die Sonne über den eigenen Horizont kippt, in einer vorübergehenden Grauzone das Thema "Sozialverträglichkeit" oder – für die Fortgeschrittenen - "17 Nachhaltigkeitsziele"/"SDGs" mitgedacht wird, sind wir nicht komplett. Wir können nicht hier die großen Umweltengel flattern lassen, gleichzeitig aber dafür sorgen, daß an anderer Stelle Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können, denn das führt nur dazu, daß genau dort entweder zu Tricks gegriffen wird, die das Letzte aus der Natur rauswringen, was selten gesund für selbige und ihre Bewohner ist, oder daß der kleine Mann seine Ressourcen an den großen Mann abtritt, der dann seinerseits versucht, möglichst kostengünstig (heißt: keinesfalls umweltverträglich, geschweige denn menschenfreundlich) irgendwas zu produzieren, das er auf einem anderen Markt, oft genug außerhalb des eigenen Dunstkreises, anbieten kann. Insofern halte ich auch das (natürlich nicht übermäßige) Konsumieren oder den Erwerb von sozialverträglichen Produkten für eine Umweltmaßnahme. Ob wir jetzt hier von Kaffee, Tee, Zucker, Textilien, Fußbällen oder sonstwas reden, soll erst mal wurscht sein. Ich komm' zumindest auf den Kaffee nochmal zurück.
Bei mir schlagen unter anderem einige Vertreter von Herstellern bestimmter Artikel auf, auch wenn diese kein direktes Geschäft mit uns machen. Das Aufschlagen machen die nicht aus Höflichkeit, sondern weil sie von mir im Gegenzug mehrere Dinge bekommen, von denen sie sich etwas versprechen: erstens bin ich der Herr über die Bestellzahlen – ich kann sagen, welcher Nutzer an welcher Stelle welches Produkt von der Firma XY bestellt hat, weil diese Informationen in unserem elektronischen Bestellsystem enthalten sind, das von mir mit aufgebaut wurde. Ich weiß also, welche Produkte in der Vergangenheit gingen und welche Ladenhüter waren. Ich weiß auch, wen ich auf eine Rückmeldung auf Fragen ("was fandst'n so toll an dem Dingens?") ansprechen kann. Ich weiß zweitens, wenn ich ein Muster von einem Hersteller in die Hand gedrückt bekomme, wem ich das zur Bewertung ins Patschehändchen drücken kann. Dann sage ich dem Hersteller, was wir von seinem Produkt halten und nehme gegebenenfalls dieses Produkt in unseren Bestellkatalog auf, auf daß es bestellt werden kann. Drittens kann ich aufgrund der regelmäßigen Rückmeldungen der Besteller auch ziemlich genau sagen, wo aktuell Probleme oder Wünsche bestehen, zu denen der Hersteller vielleicht eine Lösung anbieten kann. Viertens kann ich aufgrund der Auswertungen sagen, wie die Tendenzen aussehen, wo die Reise hingeht, wo Potential für weitere Entwicklungen zu sehen ist. Es gibt ca. 12.500 Kommunen in Deutschland. Diejenigen, die über so ein oder ein ähnliches Bestellsystem verfügen, dürften irgendwo im dreistelligen Bereich liegen. Erste Ziffer bitte nicht zu hoch ansetzen. Insofern sind wir mit der Transparenz in bestimmten Produktbereichen also ein absoluter Exot und daher wertvoll für Hersteller und Lieferanten. Ich erwähne das aus zwei wie ich finde sehr bemerkenswerten Gründen. Einmal wegen des Vertreters Herrn Z. von der Firma Leitz, dem der wunderschöne Satz aus dem Mund gefallen ist: "Der nachhaltigste Ordner, den Sie finden werden, sei es, ob Sie die Wirtschaftlichkeit betrachten, die Umweltbilanz oder die Sozialverträglichkeit, das ist der Ordner, den Sie nicht kaufen müssen, weil es der alte immer noch tut". Ich kannte aus meiner Ausbildung solche Sätze wie "Spare nicht an der falschen Stelle", aber ich glaube, der Herr Z. hat's besser formuliert. Der zweite Grund ist Herr P. von der Firma … na, sagen wir mal Tesa. Versteht man besser. Der hat mir vor einiger Zeit glückstrahlend die ecoLogo-Serie präsentiert mit den Worten "Tesa wird jetzt nachhaltiger". Diese Produkte zeichneten sich dadurch aus, daß sie natürlich umweltverträglicher waren; in optischer Hinsicht dadurch, daß sie anstelle der typischen Blau-Weiß-Rot-Farbgebung von Tesa grün-weiß-rot gestaltet waren. Bilder finden sich im Netz. Er hat mir einige Öko-Klebestifte an die Hand gegeben, ich habe sie verteilt, die Rückmeldungen waren so-la-la, aber es hat dazu gereicht, sie ins Bestellsystem aufzunehmen. Es vergingen ein paar Monate bis Jahre. Dann hieß es plötzlich, bei der ecoLogo-Reihe gäbe es Lieferprobleme. Und so nahm ich die Produkte raus, es blieben die blau-weiß-roten Standard-Sachen von Tesa im System. Herr P. kam zu seinem Besuch und fragte "und? Alles immer noch in Ordnung?"
Ich: "Ich habe mir Sorgen gemacht, weil die EcoLogo-Klebestifte nicht mehr zu kriegen sind. Okay, die Dinger waren umstritten, aber einige unserer engagierten Mitarbeiter hätten trotzdem gerne weiter damit gearbeitet."
Herr P.: "Aber die alten Produkte machen doch hoffentlich keine Probleme?"
Ich: "Nein, nein, alles reibungslos, keine Beschwerden, wie immer."
Herr P.: "Ich verrat' Ihnen was. Wir hatten mit der grün-weiß-roten Serie immer nur Probleme. Nicht von Produktionsseite oder so, aber jeder hat sich darüber beschwert. Kleben nicht richtig, nicht ausgereift, die Dinger stinken, und so weiter. Sie kennen das. Wir konnten das aber in unseren Labortests nicht nachvollziehen, dort war die Klebequalität und die Geruchsentwicklung in beiden Fällen absolut identisch. Also sind wir hingegangen und haben gesagt: es wird Zeit für ein klares Bekenntnis zur Umweltverträglichkeit. Wir haben die Produktion der alten Klebestifte eingestellt, die ecoLogo-Stifte erhielten daraufhin die Bestellnummern der alten Stifte sowie die blau-weiß-roten Tesa-Farben und stehen nun quasi verkleidet in den Regalen. Und ob Sie's glauben oder nicht – seitdem haben wir keine Beschwerden mehr."
Die Geschichte wurde mir im Anschluß von höherer Seite aus tatsächlich bestätigt.
Aber klar, das Konzept des "Verkleidens" kenne ich ja auch schon seit Jahren, hab's sogar schon selbst angewandt. Ich bin alt genug, um in einem Büro gearbeitet zu haben, in dem sich jeder über das Recycling-Papier aufgeregt hat. Weil - es staubt, die Druckqualität stimmt nicht, die Drecksblätter bleiben häufig stecken, machen Ziehharmonikas blablabla. Der Scheiß-Fairtrade-Kaffee (da isser wieder), der schmeckt nicht, der versaut den Magen, der ist zu teuer, blablabla. Sind das nur Vorurteile? Nein, natürlich nicht, die ersten Fairtrade-Kaffees, beispielsweise diese Nicaragua-Plörre, die war geschmackstechnisch wäh und ungefähr so gesund wie ein Lecken quer durch die ungeputzte Kloschüssel. Und die ersten Stöße Recycling-Papier haben tatsächlich das Innenleben des Kopierers gepudert, das Papier war schmutzig-grau, und wenn wir in den ersten Jahren Fächer gebraucht haben, waren die Ziehharmonikas eine wunderbare Bastelgrundlage. Aber der Markt (von dem gleich noch mehr) hat die Signale gesetzt "Wir haben ernsthaftes Interesse an Fairtrade-Kaffee und Recycling-Papieren", und so setzte eine Entwicklung ein. Es kamen weitere Kaffee-Plantagen hinzu, der Kaffee wurde variantenreicher und geschmacklich erheblich besser, teilweise sanken sogar die Preise, ohne daß deshalb die Idee verraten wurde. Und die Kopierer, Drucker und Faxgeräte veränderten sich, das Recycling-Papier wurde qualitativ besser und wurde variantenreicher. Und irgendwann habe ich einfach jemandem, der sich ständig über Recycling-Papier beschwert hat, kommentarlos eine Packung Recycling-Papier rübergeschickt, 80er Weiße, optisch und haptisch nicht vom "normalen" Papier zu unterscheiden – und er hat's nicht gemerkt und es kamen keinerlei Beschwerden. Und für die Vorgesetzten, die sich über die Qualität und über den hohen Preis von Fairtrade-Kaffee beschwert haben, habe ich eine Kaffee-Verkostung mit verdeckten Kaffee-Packungen organisiert, und siehe da – es waren ausschließlich Fairtrade-Kaffees (okay, mit Ausnahme des Kaffees in meiner Tasse, denn ich hatte klar gesagt, daß *ein* regulärer Kaffee vertreten sei) und jeder Kaffee, der zur Auswahl stand, hatte seine Fürsprecher. Check. Nebenbei – jeder hatte sich wie gesagt darüber beschwert, daß der Kaffee zu teuer sei. Trotzdem wurde der alte Kaffee aus dem System entfernt und durch Fairtrade-Kaffee ersetzt. Nach einem Jahr holte ich mir die Bestellzahlen und mußte feststellen, daß bedeutend weniger Kaffee beschafft worden war als in den Vorjahren. Nun, zwei realistische Möglichkeiten: entweder wurde tatsächlich weniger getrunken als vorher – oder die Leute kauften fremd, am Bestellsystem vorbei, so daß mir die Zahlen fehlten. Also schickte ich meine Spione aus und diese meldeten einheitlich: beides falsch. Nach einer Welle der Empörung bei den Mitarbeitern wurde eine Aufklärungsaktion gestartet (noch durch einige Mitstreiter und mich), und plötzlich waren diese Mitarbeiter ebenfalls der Meinung, daß man zumindest im Namen der Kommune sehr wohl fairen Kaffee konsumieren sollte. Und so kam es zu Änderungen beim Kaffee-Konsum: beispielsweise standen früher bei einer Sitzung permanent drei volle Kannen Kaffee parat, aus denen man sich bediente. Heute stehen zu Beginn der Sitzung drei volle Kannen bereit, die erste wird ausgeschenkt und verschwindet dann, und wenn die dritte zur Neige geht, wird Bescheid gegeben und es wird neuer Kaffee gekocht. Wurde also fremd gekauft? Nein. Wurde weniger Kaffee getrunken? Auch nicht. Es landete nur im Vergleich zu früher am Ende einer Besprechung bedeutend weniger Kaffee im Ausguß.
Nachhaltigkeit hat viel mit Wertschätzung zu tun. Um Wertschätzung zu generieren, braucht es allerdings Informationen. Manchmal bekommt man die durch die richtigen Fragen.
Oma meinte vor Jahr und Tag, ich würde in einem "Plattenbau" leben, weil bei mir überall Tonträger rumstehen und –liegen. Natürlich – für die Dinger mußten Rohstoffe gewonnen, transportiert und verarbeitet werden, und wenn ich hier eine CD rotieren lasse, dann braucht's Strom, und irgendwann wird das Dingens vermutlich mal auf dem Müll landen und Entsorgungskosten produzieren. Nur – jetzt mal abgesehen von der rechtlichen Situation, die das Füttern einer Radiostation wie dem "Liederlicht" unmöglich machen würde – ist das wirklich so ein größerer ökologischer Fußabdruck als beim Streamen, bei dem neben der meist komplexen Hardware zum Abrufen erforderlich ist, daß Millionen von Liedern Tag und Nacht verfügbar auf irgendwelchen Servern rumliegen? Ich werde nervös, wenn ich darüber nachdenke, daß allein die Kryptowährungen, also Währungen praktisch ohne einen materiellen Gegenwert, Währungen, deren Wert ausschließlich auf Angebot und Nachfrage basiert, mittlerweile einen größeren Stromverbrauch haben als die Niederlande, als Chile oder Pakistan (an einigen Stellen wird auch Österreich in Sachen Stromverbrauch von Kryptowährungen übertrumpft). Ich bin bei weitem nicht hardcore genug, um irgendwelche Hobbys in der weiten Internetwelt zu verdammen, oder jedenfalls nicht alle, aber manchmal sollte man wirklich mal laut die Frage nach dem Preis/Leistungs-Verhältnis stellen.
Informationen, Weiterentwicklung. Hier sind wir bei der Verantwortung der Lieferanten und der Hersteller. Um eine Wertschätzung zu generieren, braucht es Informationen. Diese Informationen müssen direkt vom Erzeuger kommen, denn wer wenn nicht der Hersteller kann etwas zu dem Thema sagen, an welcher Stelle der Produktionskette welche Maßnahmen durch wen ausgeführt wurden? Vor einigen Wochen wurde … na ja, eine extrem abgespeckte Kompromiß-Variante des "Lieferkettengesetzes" verabschiedet, das exakt diese Aufgabe den Herstellern und Lieferanten mitgibt. Damit soll mehr Transparenz in die Produktionsprozesse kommen. Bin ich sehr dafür. Ich verstehe aber auch sehr gut, warum das nicht in der Ultra-Version durchgezogen wurde, wie es ursprünglich von diversen Lobbyisten gefordert wurde. Händler X will mir eine Holzeisenbahn aus dem Hause Y verkaufen. Er kann nachweisen, daß das zugrundeliegende Gehölz aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt (heißt salopp gesagt: für jeden Baum, der für dieses Produkt sterben mußte, wird ein neuer Baum gepflanzt). Er kann nachweisen, daß der Baum aus Skandinavien stammt, und die Eisenbahn in einem deutschen Werk gefertigt wurde. Nachhaltigkeit ausreichend nachgewiesen, Lieferkettengesetz erfüllt. Ganz einfach. Händler X will mir eine Puppe aus dem Hause Y verkaufen. Jetzt müßte er … nun ja, das Material für die Puppe selbst … eventuelle weitere Kunststoffelemente für Augen oder Gelenke, … und die Farbstoffe … und die Haare … und die Kleidung – Textilien am Ende? … und die Verpackung … und die Transportwege und die Produktionsbedingungen … und die eventuellen Zuliefererer … au, das wird … schwer. Man darf jedenfalls gespannt sein.
Informationen und Weiterentwicklung. Es ist nicht so, daß sich jeder Lieferant oder Hersteller aus der Verantwortung stehlen will. Ganz im Gegenteil. Zu praktisch jeder Zeit in den vergangenen 25 Jahren gab es einige pfiffige Ideen oder sogar wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Errungenschaften, um das Thema Umweltverträglichkeit voranzutreiben. Oft genug fehlt es halt an den Signalen des Marktes, an einer ausgeprägten Buschtrommel, die die Botschaft in die Breite trägt oder an überzeugenden, aber nicht überzogenen Produkten. Aber reden wir kurz über Der Markt™. Das Bizarre an der aktuellen Situation habe ich eigentlich bereits gesagt: die Öffentliche Hand ist vom verfügbaren Kapital betrachtet einer der einflußreichsten Auftraggeber in Deutschland. Sie könnte also den Markt und seine Entwicklungen ohne Probleme in bestimmten Bereichen vor sich hertreiben. Tut sie aber nicht, weil dort eben keine Transparenz bei der Beschaffung vorliegt. Zerstört einem bei näherem Hindenken so manches Weltbild, kann ich sagen. Als ich noch ein kleiner Steppke war und sonntags am damals neuen Rathaus mit meinen Altvorderen vorbei kam, habe ich gelernt: da in diesem Kabuff, da sitzen nur Sesselfurzer und Erbsenzähler. Die können nix, aber Erbsen zählen, das können die sicherlich sehr, sehr gut. Das Andere vielleicht auch … Heute arbeite ich selbst in diesem Kabuff und habe recht früh gelernt: die wissen noch nicht mal, daß sie überhaupt Erbsen brauchen. Also. Wer fordert heutzutage etwas vom Markt, wer prägt ihn? Diejenigen, die das können. Die, die Kohle haben und schwer vom Markt abhängig sind. Und das sind Industrie und Handel. Wenn sich in der Industrie einer von den Großkopferten in denselbigen setzt, in Zukunft bei der Produktion eines Artikels nur noch nachhaltige Rohstoffe zu nutzen, das zum Standard erklärt, und mit dieser Entscheidung für Hersteller und Lieferanten ein größeres Geschäft verbunden ist, dann werden die, wenn sie schon nicht direkt springen, so doch zumindest darauf hinarbeiten, daß die benötigten Rohstoffe und Zuliefermaterialien die Bedingungen erfüllen, sofern nicht völlig unmöglich. Das klingt zwar mit der Nase des letzten Jahrtausends beschnuppert erst mal utopisch, hat aber den Hintergrund, daß wir uns auf einem Markt der 2010er und 2020er Jahre befinden, und das heißt: einem globalisierten und digitalen Markt. Die Märkte sind über weite Strecken extrem zerbrechlich aufgestellt. Weil man im Normalfall entweder das findet, was man sucht, oder wenigstens einen, der einem das zaubert, was man haben möchte. Das führt dazu, daß man sich als Hersteller und Händler sehr gern die Vorschläge von – idealerweise mächtigeren - Marktteilnehmern anhört und versucht, sich längerfristig aufzustellen. Der Markt geiert schon seit Jahren nach Ideen, nach Alleinstellungsmerkmalen; das Geschäft mit Standard-Ware ist seit Jahren kaputt, da von internationalen Händlern durchdrungen, und das hat dazu geführt, daß Themen wie Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren einen enormen Boom hingelegt haben, Umwelt- altersbedingt mehr als Sozialverträglichkeit. Da, wo die Industrie einen Anfang gemacht hat, haben Privatleute ebenfalls die Latte nach oben gelegt. Sei es, daß der Handel, der den Ruf der Industrie vernommen hat, sich überlegt hat, daß bestimmte Entwicklungen auch für Privatleute interessant sein könnten, oder weil die Privatleute sich von der Industrie zu Anfragen beim Handel haben inspirieren lassen. Das hat – Stand heute – dazu geführt, daß bestimmte Produktbereiche bemerkenswert gut ausgestattet sind mit umweltverträglichen Artikeln oder dazugehörigen Standards, teils sogar gesetzlich verbrieft, beispielsweise Büromaterial – jeder braucht Büromaterial – oder Papier oder Mobiliar oder …, während andere Bereiche nahezu unbeleckt sind. Spielmaterialien sind beispielsweise so ein Thema. Die Industrie braucht keine Spielmaterialien im großen Stil, der Privatkunde eigentlich auch nicht. Wer hat einen so großen Bedarf an Spielmaterialien, daß er den Markt beeinflussen könnte? Die Kindertagesstätten bzw. deren Träger, und da sind wir bei Kommunen und Kirchen. Beide haben bislang nicht die Infrastruktur oder die Transparenz, um das zu tun, aber das Potential haben sie. Die Idee der Nachhaltigkeit ist bei den einschlägigen Herstellern und Lieferanten durchaus schon angekommen, aber der notwendige Druck ist noch nicht vorhanden. Ich habe aber den Eindruck, daß zumindest die Rückmeldungen aus dem Bereich der Privatkundschaft bereits einige Experimente ausgelöst haben. Und das bedeutet: auch wenn die Ware erst mal nicht viel zu taugen scheint: kauft, Privatkunden, testet und vor allem: gebt Rückmeldung! Nicht in irgendeinem Online-Shop, sondern tatsächlich an den Hersteller selbst. Kritisiert, was ihr zu kritisieren habt, und zwar bitte auf konstruktive Art und Weise, immer mit dem Unterton "ich würde ja gerne weiterhin Ihr Produkt kaufen, aber was mich davon abhält, ist Folgendes …". Und wenn etwas nicht funktionieren sollte wie gewohnt – stellt Rückfragen, um zu lernen. Die großen Marktteilnehmer wie Kommunen und Kirchen werden euch über kurz oder lang an die Seite springen, wenn es die Industrie nicht bereits tut, umgekehrt schadet es auch nicht,, wenn die Problemchen der Unternehmer bei der Umsetzung der Kundenwünsche sich zu den Kommunen durchtrommeln. Es bleibt den Kommunen und Kirchen kaum etwas Anderes übrig, als nachhaltiger zu werden, denn die Wahrscheinlichkeit wächst von Tag zu Tag, daß mal ein cleverer Reporter morgens aufsteht und fragt "Frau Bürgermeisterin, Herr Landrat – wie umweltfreundlich kauft eigentlich Ihre Kommune ein? Und Herr Bischof, wie schaut das bei Ihnen aus mit Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit?" Es gibt natürlich Bereiche, da muß sich die Öffentliche Hand an den Profis orientieren. Ich mag ja die Reinigungsprodukte von Frosch, aber für den Profi-Bereich ist das nix; manche von den Sachen sind so umweltfreundlich, die schonen sogar den Fleck. Die arme Sau, die mit dem Zeugs eine Kita-Küche nach dem Mittagessen saubermachen muß, ist nur zu bedauern, denn die wird vor allem mit Muskelkraft arbeiten und nicht mit Reinigungschemie. Frosch stammt von Werner & Mertz, und die haben auch professionellere und eigentlich vergleichsweise (heißt: im Vergleich zu vielen Mitbewerbern) umweltverträgliche Reinigungschemie im Sortiment. TANA und so.
Im letzten Jahrzehnt haben sich einige Kommunen aufgemacht, um sich in Sachen Fairtrade weiter einzubringen. "Fairtrade-Town" ist so ein Titel, der gerade inflationär vergeben wird, teilweise werden auch Regionen oder sogar Schulen und Kindertagesstätten mit einem äquivalenten Titel ausgezeichnet. Auch wenn ich nicht sonderlich glücklich mit einigen Aspekten dieses Titels bin, so muß ich doch sagen, daß zumindest die Zusammenarbeit lokaler bis regionaler Akteure, von Handel über Kirchen bis Schulen und Kommunen, durchaus positiv zu werten ist. Die Lenkungskreise der Fairtrade-Towns sind erfahrungsgemäß gut informierte und engagierte Ansprechpartner, auch natürlich für Bürger, um zu erfahren, wie sie selbst sich mehr zu den Themen weiterbilden können und welches Potential die eigene Kommune in Sachen Umweltverträglichkeit/Sozialverträglichkeit bietet. Aus den Ecken hört man sehr inspirierende Geschichten, muß ich sagen, und einige Zusammenarbeiten von Akteuren, die sonst niemals zusammengekommen wären, halte ich für sehr vielversprechend. Wer also in einer Fairtrade- Kommune lebt (oder dicht an einer dran), braucht sich nicht nur zu fragen, was man selbst in Sachen Umweltverträglichkeit tun kann, sondern was vielleicht darüber hinaus an exakt seinem Standort möglich ist. Die eigentlich zuständigen Ämter (Umweltämter/Grünämter) habe ich als bedeutend träger in Erinnerung …
Ich schau' auf die Uhr, ich schicke an der Stelle erst mal ab.
Gruß
Skywise,
nach Diktat entschlummert