Liebe Forumsteilnehmer und –leser,
wie Ihr wisst, habe ich schon viele Beiträge geschrieben, aber das ist mein erster Gehversuch im politischen Forum. Dazu veranlasst hat mich eine Veranstaltung und ein Konzert an Christi Himmelfahrt (20. Mai 2004).
Zunächst einmal die Hintergründe:
Die Luftwaffe der deutschen Bundeswehr ist mit einer Ausstellung in Deutschland unterwegs, mit der sie sich präsentiert und für sich, bzw. um Nachwuchs wirbt.
Parallel dazu gibt es eine Fotoausstellung, die an einem konkreten Beispiel aufzeigt, welches Unheil und Unrecht die Luftwaffe im Namen einer guten Sache über die Menschen bringen kann. Es geht um den Angriff auf die Brücke von Varvarin am 30. Mai 1999. Varvarin ist ein unscheinbares serbisches Städtchen mit ca. 4000 Einwohnern am Fluss Morava, über den eine ebenso unscheinbare Brücke führte. Am Pfingstsonntag (30.05.99) flog die Luftwaffe der NATO aus unerklärlichen Gründen einen Angriff auf diese Brücke, bei dem die 15-jährige Sanja ums Leben kam, die sich vor dem Krieg in ihr Heimatstädtchen 'in Sicherheit' gebracht hatte. Die Menschen, die den Verletzten zu Hilfe eilten, wurden zehn Minuten später noch einmal angegriffen. Die Bilanz: 10 Tote, 30 Verletzte, davon 17 schwer – Menschen wurden regelrecht zerfetzt. Alle waren Zivilisten, denn weit und breit gab es kein Militär. Die Geschichte der Angriffe (Bilder und Augenzeugenberichte) ist nachzulesen im Buch von Gabriele Senft: 'Die Brücke von Varvarin'. Die NATO flog im dritten Monat des Krieges Angriffe "zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe im Kosovo – unter Vermeidung ziviler Opfer". Wie sollen die Varvariner das glauben?
Nachdem sich ein Berliner die gerichtliche Klärung dieses Falles zu einer Art Lebensaufgabe gemacht und auch Spendengelder für den Rechtsstreit gesammelt hatte, verklagten die Einwohner von Varvarin am 24.12.2001 Deutschland stellvertretend für die NATO auf Entschädigung wegen eines Kriegsverbrechens – wer genau den Angriff geflogen hatte, wurde nie aufgeklärt. Die Klage wurde am 10.12.2003 zurückgewiesen, sinnigerweise dem 'Internationalen Tag der Menschenrechte'. Der Richter bedauerte, nicht helfen zu können, aber nach Meinung des Gerichtes können einzelne Personen andere Staaten nicht wegen Kriegsfolgen belangen. Die Einwohner von Varvarin sind in Berufung gegangen.
Fast genau fünf Jahre nach diesem Angriff gastierte nun also die Ausstellung "Unsere Luftwaffe" vom 20.05. – 24.05.2004 in Eberswalde, einem Städtchen, das kurz vor Kriegsende 1945 ebenfalls schwer zu leiden hatte: Es wurde damals von der eigenen Luftwaffe zerstört, weil man dem einrückenden Feind nur 'verbrannte Erde' hinterlassen wollte. Entsprechend groß war die Bereitschaft, eine Gegenveranstaltung auf die Beine zu stellen. Das spontan gebildete "Bündnis für den Frieden" protestierte gegen die Zurschaustellung von Waffen, gegen das Ausnutzen der Technikbegeisterung von Jugendlichen und mit der Absicht, auf die Folgen von Waffen hinzuweisen. Täglich von 10 h – 18 h wurde eine Mahnwache abgehalten, am 23.05.2004 lud das "Bündnis" zu einem Friedensgebet ein. Am ersten Tag, dem 20. Mai 2004, fand eine Kundgebung statt. Über die Ausstellung der Bundeswehr wurde in dem Sender rbb berichtet, und auch der Protest dagegen wurde in 20 Sekunden kurz erwähnt.
Diese Gegen-Kundgebung am Eingang der Bundeswehrausstellung wurde von dem Liedermacher Michael Günther unterstützt. Er sang seine Lieder 'Gradeaus', 'Erdbeerbeben' und 'Tauch ab!'. Doch immer wenn er sang, ließ man drinnen dröhnend Hubschrauber aufsteigen – makabererweise zu den allseits bekannten und beliebten Klängen von 'Über den Wolken', dem wohl bekanntesten Lied des überzeugten und kompromisslosen Pazifisten Reinhard Mey. Auch vor den Toren der Ausstellung erklangen Töne von Reinhard Mey: Dort wurde jedoch gesungen 'Nein, meine Söhne geb ich nicht'.
Am Abend des 20. Mai 2004 gab Michael Günther im Evangelischen Gemeindezentrum der Kirchengemeinde Finow Eberswalde ein Benefizkonzert zugunsten der Hinterbliebenen und Opfer von Varvarin. Er präsentierte sein Programm "Michael Günther: Solo!" und erspielte einen Erlös von € 175,--. Während des Konzertes trugen er und die Fotografin Gabriele Senft mit Text und Musik ein Gedicht vor, das die Erzieherin des Belgrader Gymnasiums für Sanja (anstatt eines Blumenstraußes) geschrieben hatte.
Michael Günther begeisterte mit besinnlichen und heiteren Liedern über das Leben, das Nachdenken, die Liebe und den Frieden seine Zuhörer so sehr, dass mehrere Zugaben nötig waren, um ein Ende des Abends zu finden.
Der Anlass war ein trauriger, das Konzert ein nachdenklich fröhliches.
Viele Grüße von Petra, die inzwischen eine Mail an Peter Graumann geschrieben hat, um auf den Missbrauch von 'Über den Wolken' hinzuweisen – und die sich dabei ungewohnt kurz gefasst hat, um ihre Chancen zu erhöhen, auch wirklich gelesen zu werden.