Ihr Lieben,
nachdem ich Clemens kurz vor Weihnachten nach seiner Meinung zu den Hoffmann-Alben "Sänger" und "Erzählungen" gefragt, die zu kaufen ich beabsichtigte, und er mich um ein paar Tage vertröstet hatte, fand ich gestern bei meinen Eltern ein Paket von ihm vor. Inhalt: eine "Sicherheitskopie" der erstgenannten (das hast Du juristisch sauber formuliert, Clemens!) und eine lockere Zusammenstellung unterschiedlichster weiterer Lieder, die in einem übereinstimmen: darin, dass sie gut sind.
Da sich hier gelegentlich einige Klausmänner und Klausfrauen aufhalten, möchte ich gerne eine kleine, nicht ganz ernst zu nehmende Kritik der "Sänger" loswerden.
WEGEN DIR. Die Zeile "wegen Dir spiele ich gnadenlos Theater, bin pathetisch und manchmal auch leicht verrückt" beschreibt nicht nur das Lied gut, sondern auch Hoffmanns ganzes Schaffen – das ist nämlich zumeist gut, wenn man in der Stimmung dazu ist, schrammt aber mitunter haarscharf an der einen oder anderen kleineren Peinlichkeit vorbei (oder trifft in deren Zentrum). In diesem Fall würde ich von einem anständigen Lied sprechen, aber: ich habe nicht darauf gewartet. Immerhin erhält das Lied ab der fünften Strophe etwas Rhythmus, was ihm ganz und gar nicht schadet... und so beachtlich klingt – im Gegensatz zum einen oder anderen arrangierten Fehlgriff auf der CD.
WIR LEBEN NOCH. Von diesem Lied hatte ich schon eine Live-Version (veröffentlicht auf "Sänger live"), deshalb nicht viel Neues. Leider. Der Text ist wie gewohnt düster, knapp formuliert, melodisch aber perfekt umgesetzt – voller Sehnsucht und doch fetzig, wunderschön! Weshalb das "leider"? Von einer Studioaufnahme verlange ich eine hochstehende musikalische Begleitung, die, wo möglich, nicht synthetisch erzeugt sein sollte. So klingt, was auf der Bühne aufgrund des kleinen Ensembles ganz und gar charmant wirkte (die gekeyboardeten "Streicher" in den Eingangstakten nämlich), nun eher lasch und einfallslos. Aber toll ist das Lied auch so.
IN MEINEM KIEZ. Nostalgische Schmonzette, die im Hoffmannschen Stil übertrieben lyrisiert wird und die ich weiss Gott nicht wörtlich nehme. Irgendjemand in dem einen oder anderen Forum hat vor einiger Zeit geschrieben, dass Mey schreibt, was man selbst nur denkt, und Hoffmann, was man selbst nur fühlt – habe ich das richtig in Erinnerung? Diese schöne Umschreibung lässt sich durch dieses kleine, gerade einmal zweieinhalbminütige Lied gut stützen.
ZWEI WIE WIR. Wer Zeilen wie "mein Lieb, mein Leid" in einen Liedtext einflechtet, läuft Gefahr, von mir ein Stirnrunzeln zu ernten – Hoffmann erntet nicht ein ebensolches, sondern Applaus für ein Lied über Hochzeitsangst (wenn ich's richtig verstanden habe – das weiss man ja nie!), das zudem ganz gut arrangiert ist, mal abgesehen von bereits beanstandeten gekeyboardeten Staccato-Streichern ab 2.45.
KOMM WIR REITEN DEN WIND. Wer wissen möchte, worum es in diesem Lied geht, lasse sich gesagt sein: besucht klaus-hoffmann-forum.de und lest dort den Text nach. Ich... ich weiss es nicht. Das spielt hier aber auch absolut keine Rolle: der Mann, der mit Worten nicht Geschichten, sondern Gefühle (und hier eben ausschliesslich Gefühle) transportiert wie kein zweiter in seinem Sprachraum, schafft hier, lyrisch und stimmlich, Meisterhaftes. Ich kann mich erinnern, dass Carsten dieses Lied am LT1 gesungen hat, und seither liebe ich es – auch in dieser Version, selbst wenn die Live-Fassung der "Afghana"-Tour durch einen eingeschobenen Monolog-Teil noch eine Spur besser ist. Aber spielt das eine Rolle?
WAR’S DAS? Textlich lässt sich das Lied auf den Titel reduzieren, bei Hoffmann egal – der kann ja, wie ich oben so behämmert formulierte, "Gefühle transportieren". Schafft er hier aber (bei mir) nicht. Dazu kommt, dass das Ganze musikalisch lahm und unspannend umgesetzt ist.
MONA. Dieses Lied ist weder musikalisch lahm noch unspannend umgesetzt. Wie nennt man diesen ich-will-auch-mal-peppig-klingen-Sound der Spätachtziger und Frühneunziger? Latino-Pop? Kann sein. Fakt ist, dass ich dieses unschuldige Lied, inhaltlich die Sekten-Schwester der Feministinnen-Annabelle, – entschuldigt – geil finde. Aus drei Gründen: erstens rockt es. Zweitens ist es witzig getextet. Und drittens: einfach so – muss ja nicht alles einen Grund haben.
KINDER ERKENNEN SICH AM GANG. Dieses Lied kennen Mey-Fans zumindest von den Zeilen "wenn er's ist, dann wird er mich von fern erkennen, darum ist mir nicht bang, an den offenen Armen, an der albernen warmen Mütze und an meinem Gang" (aus "Flaschenpost"), das der kleine Mann mit der Brille für seinen Freund Hoffmann geschrieben hat. "Kinder..." ist ein wunderbares Lied, das in dieser Studio-Version leider etwas zu sauber arrangiert ist – ein Werk über Kindheitserinnerungen und Melancholie sollten atmen.
DA IST EIN STROM. Schon wieder ein wehleidiger Schmachtfetzen, dieses Mal aber misslungen. Irgendwie haben wir das alles – Vater bereitet Sohn warnend auf das Leben vor – schon viele Male gehört, und einige Male auch besser. Ich ziehe den Titel-Bruder "Da wird eine Insel sein" eindeutig vor.
ICH HAB'S GEWUSST. Dieses Lied ist – man beachte meine Überleitung – auf der Live-CD "Da wird eine Insel sein" (benannt nach einem Lied, das ich eindeutig vorziehe...) in einer so tollen Fassung enthalten, dass jede andere verlieren muss. So auch diese. Und hier fällt wieder einmal auf, dass Hoffmanns Texte allein manchmal sehr – nun ja – merkwürdig daherkommen: wer ein Lied mit den Zeilen "jaja, die Zeit ist aus den Fugen" beginnt und den einmal eingeschlagenen Pfad nicht verlässt, muss schon ein ganz guter Lyriker sein, um die Wörter vergessen und die Worte wirken zu lassen. The master schafft's.
HEY JUNGE. Seltsam. Kein wirklich gutes Lied, da es mir zu "geplant", zu wach geschrieben wurde, und doch: es verfehlt seine Wirkung nicht: ein bisschen sehnsüchtig wird man schon. Aber nicht mehr. Und deshalb höchstens Mittelmass.
ALS WENN ES GAR NICHTS WÄR'. Auch von diesem Lied gibt es schon grossartige Live-Fassungen (z.B. "Sänger live", "Da wird eine Insel sein"), und da die mir von Clemens zur Verfügung gestellte Studiofassung sich leider selbst verhackstückelt und damit gar nicht angehört werden kann, nur ein paar Worte dazu: ein wunderbares Lied in gewohnter Hoffmannscher Manier. Wie sang er noch im ersten Lied der CD? "...bin pathetisch und manchmal auch leicht verrückt" – eine tadellose Selbsteinschätzung, in diesem Fall mit positivem Ausgang für ihn und mich.
Einwände? Kommentare? In diesem Sinne wünsche ich Euch eine gute Woche, und Clemens danke ich herzlich für die Grosszügigkeit, Hoffmann mit mir zu teilen.
Liebe Grüsse
von Reto (der diesen Beitrag lieber nicht noch einmal durchliest)