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In vollen Zügen - Die Autobiographie

Verfasst: Mi 19. Mär 2003, 00:12
von Gast
Hallo miteinander,
ich hatte ja schon einmal geschrieben, dass ich Ulrich Roski in den letzten Jahren vollständig aus dem Blick (aber niemals ganz aus den Ohren ;-)) verloren hatte. Erst wenige Wochen vor seinem Tod kam mir plötzlich der Gedanke: "Was ist eigentlich aus ... geworden?" Zufall? Jedenfalls habe ich mir als Reaktion auf die Todesnachricht gleich 2 CDs und seine Autobiographie bestellt und letztere am Wochenende "in einem Zug" ;-) durchgelesen - was, wie man sich denken kann, keinerlei Anstrengung bedurfte, denn natürlich ist das Buch genauso locker-flockig und witzig wie seine Lieder.
Die ersten prägenden Erfahrungen in Sachen Sinn für Unsinn verdankt er wohl seiner Großmutter (mütterlicherseits), die schon dem ganz kleinen Ulrich so wertvolles deutsches Liedgut beibrachte wie etwa "Guter Mond, du gehst auf Strümpfen" und "Stille Nacht" mit "Christ der Rächer ist da" beschloss. Sehr zum Ärger des Vaters, eines offenbar recht humorlosen rechthaberischen Schulmeisters, zu dem sein Verhältnis deutlich gespannt war. Ein stetes "Papa will das nicht" klingt quasi als Basso ostinato durch seine gesamte Kindheit und Jugend.
Seine Erinnerungen geraten - jedenfalls für einen waschechten Berliner nicht mehr ganz jugendlichen Alters ;-) beinahe zu einer nostalgischen Reise in die eigene Kindheit, wenn er von Onkel Pelle und Onkel Tobias und den RIAS-Kindern (die er allerdings allesamt nicht mochte) erzählt, der RIAS-Kaffeetafel, Conny, Rudi Schuricke und Heinz Erhardt. Sehr beeindruckend und einer ausführlichen Erwähnung wert sind offenbar auch Konzerte mit Glenn Gould und Leonard Bernstein - zumal bei so - für deutsche Verhältnisse - ungewöhnlichen Gepflogenheiten:
Leonard Bernstein war uns allenfalls ein Begriff als Komponist der West Side Story, ... Dass jemand, der so jazzige Musik komponierte, auch ein Orchester leiten durfte, schien durchaus ungewöhnlich. ... Unter ihnen [New Yorker Philharmoniker] weilten erstaunlicherweise auch viele Philharmonikerinnen. Sowas gab es bei deutschen Orchstern nicht.
Ein erster Höhepunkt seiner eigenen schon in jugendlichen Jahren begonnenen musikalischen Karriere wird der gemeinsame Auftritt seiner blues function combo mit einer Skiffle-Group.
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg, besonders für die Skiffle-Group. Sie räumte gnadenlos ab. Das Publikum raste.
Der Frontsänger der Gruppe hieß übrigens Reinhard Mey und traf auch später mit seinen eigenen Liedern eher den Geschmack des größeren Publikums als ich mit meinen. Die blues function combo blieb ein Geheimtipp. Ich auch.
Bevor seine Karriere als Liedermacher und Blödel-Barde (Vorbild Georg Kreisler) ernsthaft beginnt, legt der offenbar Hochbegabte mal eben nebenbei etliche Prüfungen ab: am Französischen Gymnasium zunächst - nur mal so zum Testen - das Brevet d'études (mittlere Reife), schließlich das Baccalauréat sowie das deutsche Abitur. Das Baccalauréat besteht er schriftlich so glänzend, dass ihm die mündliche Prüfung erlassen wird - sehr zu seiner Enttäuschung, denn seine seit Jahren angebetete Iris muss zur Prüfung nach Strasbourg - er fährt trotzdem einfach mit. In der mündlichen deutschen Abiturprüfung in Musik kann er seine Prüfer mit der Petitesse beeindrucken, dass die Einführung des Umsteigefahrscheins bei der Berliner Straßenbahn auf eine Anregung Arnold Schönbergs zurückgeht - worauf der Prüfer notiert: "Proband weiß mehr als Protokollant". Dass er seinen Führerschein mit nur 10 Fahrstunden erwirbt, wundert da eigentlich schon nicht mehr.
Zu einer Reise in die eigenen Erinnerungen gerät auch seine Schilderung der 68er und nachfolgenden Jahre, in denen Langhaarige - wie er - als Gammler und Kommunisten beschimpft (und später dann auch als mutmaßliche Terroristen verdächtigt) wurden, denen man gern den Rat gab: "Jeh doch in'n Osten!" Die Atmosphäre an der FU Berlin - vor und nach der Studentenrevolte (an der Sorbonne war er nur ein Semester), die "Vorlesungsduelle" zwischen Wilhelm Weischedel und Helmut Gollwitzer beschreibt er (ich selbst habe nur noch letzteren erlebt) - und schließlich die Entfremdung von der Uni und seinem Berufsziel, der Beginn und Fortgang seiner Karriere.
Interessant finde ich auch seine Beschreibung der Treffen auf Burg Waldeck:
Die Sänger unterschieden sich nicht sehr stark voneinander, ebenso wenig die Inhalte der Lieder. Meistens sang eine einzelne Person mit einer einzelnen Gitarre darüber, dass Krieg scheiße sei und die Herrschaften da oben gemein. Das fand ich auch, musste es aber nicht achtzehn Mal in gereimter Form hören.
Das empfand ich damals genau so, fühlte mich in meinem Umfeld damit aber in der Minderheit und muss gestehen, dass ich zumindest meinen damaligen Kommilitonen Konzertbesuche bei Roski oder Insterburg & Co. tunlichst verschwieg, denn derart unpolitische Lieder waren zutiefst verpönt. - In diesem Zusammenhang eine überraschende (?) Anekdote: Auf dem Höhepunkt der Terroristenhatz in der BRD sollte ein Liedermacher von einer RIAS-Veranstaltung aufgrund eines vagen gegen ihn vorliegenden Verdachts ausgeschlossen werden. Ausgerechnet
Ingo Insterburg, der eigentlich nie als exponierter Politagitator hervorgetreten war, stand auf und sagte nur: "Wir sitzen drüben in der Kantine. Wenn ihr es euch anders überlegt habt, können wir mit den Proben anfangen."
So kann man sich täuschen.
Leider enden Roskis Memoiren mit der Geburt der Tochter Sandra, so dass die späteren Jahre, die ich nicht mehr mit verfolgt habe, auch nachträglich nicht erhellt werden. Ebenfalls schmerzlich vermisst: ein kleiner Fototeil - gerade mit Fotos von "früher" - würde das Buch sehr schön ergänzen.
Abgesehen davon, dass er viel zu früh gestorben ist, hätte ich ihm gern den Tod gegönnt, den er sich selbst gewünscht hat:
Nach der Beerdigung von Hildegard Knef hat Lilo [Pulver] übrigens im Interview gesagt: "Immer wenn wir uns trafen, haben wir uns zusammen totgelacht!" Auf diese Weise würde ich mich gegebenenfalls auch gern verabschieden.
So ganz hat das ja wohl nicht geklappt :-(
So weit mal ein kurzer (naja, eher nicht *g*) persönlicher Eindruck von der Autobiographie. Wer seine Vita einigermaßen kennt, wird einige Dinge vermissen. Die habe ich guten Gewissens weggelassen, die kann man nämlich z.B. bei www.uroski.de  nachlesen.
Viele Grüße aus dem Berliner Bezirk, in dem Ulrich Roski aufgewachsen ist ;-)
Regina
die jetzt wieder den Roski'schen Kleinen Mann im Ohr hat :-)))))

In vollen Zügen - Die Autobiographie

Verfasst: Mi 19. Mär 2003, 06:12
von Nordlicht
Liebe Regina,
vielen Dank für Deinen "kurzen" Beitrag - nach dem Lesen desselben gibt es nun keinen Zweifel mehr: Ich MUSS dieses Buch also doch lesen. Und ich glaube, ich werde es genauso genießen wie (offensichtlich) Du.
Hatte ich es schon erwähnt ? Für mein Empfinden hat uns mit Roski einer der wirklich Großen verlassen. Oder, um Reinhard Mey zu zitieren: "Schade, daß Du gehen mußt..."
Liebe Grüße aus dem Norden,
ANDREAS.

(...der mal eben zu amazon verschwindet...)