Hallo Michael,
ich finde es bemerkenswert, dass Du Dich hier zu Wort gemeldet und Dir die Zeit genommen hast, Dich mit meiner Kritik auseinanderzusetzen. Wenngleich ich bereits alles, was mir persönlich wichtig erschien, über Dein Buch zu schreiben, ausgedrückt habe, möchte ich meine Kritikpunkte an einigen Deiner Anmerkungen noch einmal verdeutlichen.
michael-schneider-ch - Zitat: ↑Mo 30. Mai 2022, 16:36
Grundsätzlich geht es mir in meinem Buch darum, einen Beitrag zur Rezeption von Reinhard Mey zu leisten.
Grundsätzlich sehe ich darin eine interessante und in gewisser Weise auch redliche Zielsetzung (unabhängig von der Frage, wie redlich es ist, ein Buch über einen Künstler zu schreiben und zu veröffentlich, der das offenkundig nicht möchte). So wenig mich Dein Buch auch überzeugt haben mag – ich finde es durchaus anerkennenswert, dass Du Dich dem Werk Reinhard Meys in der Sache fundiert und respektvoll annäherst; Du schreibst ja grundsätzlich nichts Falsches, nichts Privates, nichts Unseriöses.
Erst durch Dein Buch ist mir aufgefallen, wie ungewöhnlich es ist und wie ungewohnt es sich für mich als Liebhaber „handgemachter Musik“ anfühlt, ein Buch nicht
von, sondern
über einen Liedermacher zu lesen. Ich vermute, dass – auch – darin ein Grund liegt, dass ich Dein Buch mit einem gewissen Unbehagen gelesen habe. Wenn ich in mein Buchregal sehe, sehe ich meterweise Bücher
von Liedermachern wie Reinhard Mey, Hannes Wader, Klaus Hoffmann, Konstantin Wecker, Manfred Maurenbrecher, Herman van Veen, Heinz Rudolf Kunze, Wolf Biermann und vielen, vielen anderen – aber eben kein Buch oder nur sehr vereinzelt Bücher
über spezielle Liedermacher (umfassende Bücher über die „Szene“ gibt es wohlgemerkt reichlich). Woran liegt das? Am Genre? An einer vermeintlichen Relevanz der Künstler oder Popularität? Oder schlichtweg daran, dass es nicht notwendig erscheint, Bücher
über Künstler zu schreiben, deren Werk und Leben eng miteinander verwoben sind?
Als ich Dein Buch ins Regal stellte, fiel mir wiederum ein Buch meines alten Profs Heinrich Detering in die Hand; Detering (Professor für Neuere deutsche Literatur in Göttingen) gilt bekanntlich als einer
der deutschsprachigen Dylan-Kenner; warum habe ich sein Buch über Bob Dylan im Gegensatz zu Deinem über Reinhard Mey mit großem Interesse gelesen? Weil Bob Dylan weit weg ist? Ein konstruiertes Mysterium? Ich glaube, es liegt vielmehr am Schreibstil Deterings: Im Gegensatz zu Dir schreibt Detering sehr nüchtern, sehr sachlich, trotz erkennbarer Leidenschaft für das Werk Dylans auffallend distanziert; literaturwissenschaftlich durch und durch – und trotzdem oder gerade deswegen sehr lesenswert. Du wählst für Dein Buch über Reinhard Mey einen ganz anderen Schreibstil: Euphorisch, ja, zuweilen geradezu anhimmelnd. Ist es dieser – für mich – befremdliche Mix aus musiktheoretischer Expertise und fast affektierter Huldigung? Vielleicht...
Und Mey ist Musiker – und so ist es halt wirklich entscheidend, wie er seine Melodien aufbaut und wann er beispielsweise Dur und Moll einsetzt.
Hättest Du Dein Buch „Reinhard Meys Lieder – eine musiktheoretische Analyse der Studioarrangements“ genannt, hättest Du einen sachlichen Schreibstil gewählt und hättest Du es als wissenschaftliche Arbeit ins Regal der Uni-Bibliothek gestellt, hätte ich Dein Buch womöglich sogar richtig spannend gefunden...
Und hier sind die Studioalben Meys seine musikalische Visitenkarte – denn auf ihnen wird jeweils neues Material präsentiert. Dass Mey dabei von Arrangeuren und Produzenten unterstützt wird, ändert nichts an der Tatsache, dass er diese Visitenkarte mit der Veröffentlichung genau in dieser Form präsentieren möchte. Anders wäre es, wenn er neue Lieder zuerst rein mit der akustischen Gitarre aufnähme und sie erst später instrumentiert würden.
Einspruch!

Wir wissen von Reinhard Mey, dass seine Lieder seit jeher auf der Gitarre entstehen. Darin sehe ich persönlich die Keimzelle seiner Lieder. Wie die Lieder später für die Studioalben „eingekleidet“ werden – ich glaube, so drückte sich Manfred Leuchter mal aus – trägt meiner Einschätzung nach vor allem die Handschrift des Arrangeurs – sprich Manfred Leuchters – und der beteiligten Musiker. Ich erinnere mich an Interviews mit Reinhard Mey, in denen er die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Manfred Leuchter auf sehr liebevolle Art und Weise schilderte und das besondere Feingefühl erklärte, mit dem Manfred Leuchter die Lieder arrangiert. Kurzum: Wenn Du die Studioalben Reinhard Meys „Visitenkarten“ nennst, okay, aber dann bilden die Live-Alben Reinhard Meys seine künstlerische DNA ab.
Und die Instrumentierungen über die Jahre spiegeln insofern deutlich wieder, wie sich die Alben in ihrer Zeit und auch, wie sich Affinitäten des Liedermachers, verändern.
Darin sehe ich persönlich – wenn man so will – den „Fehler“ Deines Ansatzes bzw. Buches, ich glaube nämlich nicht, dass man über die Instrumentierungen den „Affinitäten des Liedermachers“ auf die Spur kommt. Ich glaube schlichtweg, dass die Arrangements vor allem dem Zeitgeist unterliegen. Experiment: Hör Dir die Live-Versionen auf dem Live-Album „Gib mir Musik“ (2012) der Lieder „Herbstgewitter über Dächern“, „Die Eisenbahnballade“ und „Wir sind eins“ an. Die Frage, welches Lied aus welchem Jahrzehnt stammt, dürfte ziemlich knifflig sein. Hier erahne ich den Zauber der Lieder Reinhard Meys: Sie sind zeitlos und zeitungebunden. Hörst du die Lieder aber in ihren Studioversionen an, dürfte man recht leicht erraten, in welchem Jahrzehnt sie entstanden sind; für mich zeigt das gedankliche Experiment: Die Studioarrangements sind für mich nicht der richtige Weg, dem Kern der Lieder Reinhard Meys auf die Spur zu kommen; sie können etwas über die Klangewohnheiten ihrer Zeit aussagen, aber nichts Wesentliches über Reinhard Meys künstlerisches Schaffen.
Meys Lieder funktionieren zwar auch mit Gitarre solo – aber wenn in «Douce France» ein Akkordeon aufs Meys Frankreich-Bezüge verweist, das Grillenzirpen in «Maikäfer fliege» auf den Frühsommer, und die Bouzouki in «Drei Stühle» den Text authentisch griechisch stützt, dann ist das nicht nachher aufgesetzt, sondern so intendiert.
Ja, aber meiner Einschätzung nach intendiert vom Arrangeur, nicht von Reinhard Mey selbst (ich will mich nicht in Vermutungen verlieren, halte es aber eher für abwegig, dass Reinhard Mey beim Schreiben und Komponieren von „Drei Stühle“ eine Bouzouki im Ohr hatte; die dürfte als – wenngleich naheliegende – Idee erst im Studio entstanden sein).
Es ist schade, dass du – zumal, wenn nun zum ersten Mal ein Buch über Mey erscheint – nicht das ansprichst, was wirklich wichtig ist – z.B. dass immerhin 6 Seiten Meys Liedern gegen Unrecht und Krieg gewidmet sind.
Joah, klar, aber das ist doch absolut naheliegend, oder? Es gibt stille Lieder, die – für mich persönlich – Reinhard Meys Werk noch viel treffender charakterisieren, zum Beispiel „Herr Fellmann, Bonsai und ich“ – ein Lied voll menschlicher Wärme und ein Lied von großer gesellschaftlicher Relevanz, das auf so berührende und feinfühlige Weise die Frage aufwirft, wie wir mit unserer immer älter werdenden Gesellschaft umgehen wollen;
das ist für mich Reinhard Mey. Da ist kein erhobener Zeigefinger, da ist eine liebevoll erzählte Geschichte, die berührt, mich schmunzeln lässt, zugleich Relevanz hat und mich nachdenken lässt über mich und meine Mitmenschen...
Und die Charakterisierung der 28 Alben – ja, sie möchte genau dies: auf knappem Raum jedes Album für sich charakterisieren.
Mein Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
An der Stelle widersprichst Du Dir meiner Einschätzung nach selbst: Mit der Charakterisierung
aller Studioalben versuchst du einerseits, das vollständige Werk abzubilden, zum anderen schreibst Du – völlig nachvollziehbar, wie sollte es bei einem so großen Werk aus über 50 Jahren auch anders möglich sein! – dass Dein Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Der Widerspruch zeigt mir, dass Du Deinen eigenen Zielen und Ansprüchen letztlich nicht gerecht wirst.
So, nun aber genug der ollen Theorie. Montags gibt's bei uns nämlich eine schöne Tradition: Meine Frau zieht jeden Montagabend eine CD aus dem Regal mit den immer gleichen Worten: „Für den heutigen Montagabend empfehle ich Dir...“ – und dann wird gehört, was empfohlen wird... ich bin gespannt, was sie heute aus dem CD-Regal ziehen wird!
Das ist der wahre Zauber...
Liebe Grüße aus Hannover
Marc