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von Carsten K
#4
In den 80ern war ich mal großer Wolf-Biermann-Fan, bin aber Anfang der 90er davon abgekommen, nachdem er den George Bush (Senior)-Krieg gegen den Irak massiv befürwortet und sein Publikum auch eher in CSU-Kreisen (Hans-Seidel-Stiftung) gesucht hatte. Man mag ja seine Meinung haben und darf es auch, aber meine Meinung war es dann so ganz und gar nicht mehr, und ich hatte seitdem aufgehört, mich für seine Lieder zu interessieren. Ich weiß auch nicht, ob er danach noch etwas gedichtet oder komponiert hat, was mich heute faszinieren könnte...
Aber ich muss gerade an einen seiner Songs Anfang der 80er denken, den ich bei YouTube leider nicht gefunden habe, um ihn hier zu posten. Er fängt so an:
"Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein
Marie, du dunkle Sonne
Dass wir dich warfen in diese Welt
Schlaf ein, du Dickmadonne..."
Ein Wiegenlied für seine kleine Tochter Marie, das mir damals sehr gefallen hat und auch auch heute noch sehr gefällt. Sollte man noch Kinder in eine Welt setzen, die durch Kriege, Gewalt, Umweltzerstörung usw. eigentlich dem Untergang geweiht ist? (Damals so aktuell wie heute) Eigentlich nicht, aber wir tun es trotzdem, und das ist auch gut so... Eine Botschaft, die mir bis heute - gerade wegen ihrer Ambivalenz - gefällt.
Wolf Biermann mag zwar nicht der größte und wichtigste aller deutschen Liedermacher seit Walther von der Vogelweide sein (auch wenn er er heute oft den Eindruck erweckt, dass er sich dafür hält...), aber er hat in seinem mittlerweile auch schon ziemlich langen Leben eine Menge sehr guter Lieder geschrieben - mal ganz abgesehen davon, dass seine Ausbürgerung in den 70ern tatsächlich als einer der Anfänge des Endes der DDR angesehen werden kann, denn diese Ausbürgerung hatte auch ein kulturelles "Ausbluten" zur Folge, weil sich viele KünstlerInnen mit Biermann solidarisch erklärten und die DDR daraufhin ebenfalls verlassen haben. Insofern hat ein Wolf Biermann tatsächlich eine andere historische Bedeutung als Reinhard Mey, Franz Josef Degenhardt oder Hannes Wader (und andere)... Eine Bedeutung, die Biermann aber aber auch überheblicher gemacht hat als andere, finde ich...
Wie auch immer... Dass die einst kleine Tochter, Marie, die "Dickmadonne", heute mit ihrem Papa auftritt, klingt einerseits spannend (Franz Josef Degenhardt hat in seinen letzten Jahren, als er noch auftrat, auch öfter Konzerte zusammen mit seinem Sohn Kai gegeben), andererseits frage ich mich, warum Marie Biermann, die inzwischen längst erwachsen ist, ihre Karriere so sehr auf das künstlerische Werk ihres Vaters aufbaut. Wolf Biermann hat einmal in einem Konzert gesagt: "Ich will nicht mein eigener Plattenspieler sein." Hat er jetzt die Tochter zu seinem Plattenspieler gemacht, oder sie sich gar selbst, weil sie nichts Eigenes hat? Aus Kai Degenhardt und seinem Bruder Jan sind jedenfalls eigenständige Liedermacher geworden. Sie mögen zwar von dem Namen ihres berühmten Papas profitieren, und man hört aus ihrer Art zu singen auch durchaus heraus, wer ihr Papa ist, aber sie singen ihre eigenen Lieder und verkaufen sich nicht als Kopie ihres Vaters...
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"Wenn man als junger Mensch aussah wie ein Hippie und sich einigermaßen treu geblieben ist, sieht man als alter Sack halt aus wie ein Penner und nicht wie Joschka Fischer."
Harry Rowohlt (1945-2015)