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von Westwind
#12
Hallo zusammen,
Skywise hat mit seiner Meinung meine Gedanken angeregt, daher melde ich mich nochmal zu dem Thema:
[Skywise schrieb:]
"Darüber hinaus erscheint es mir unpassend, Bob Dylan einen Literatur-Preis zuzugestehen und dabei seine Musik, die die Wirkung der Texte in vielen Fällen noch verstärkt (wenn nicht sogar erst entfaltet), unter "ferner liefen" abzuhandeln.
Hat der Nobelpreis die gesamte Singer/Songwriter-Szene deutlich aufgewertet? Nein, wenn man bei seiner Betrachtung ein wesentliches Merkmal der Szene außen vor läßt. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Szene es wirklich nötig hat, sich von der Literaturszene auf die Schulter klopfen zu lassen wie ein Kleinkind, das gerade die Schleife gelernt hat."
Teilweise sehe ich es auch so, aber ich differenziere hier gerne mal wieder: Richtig ist, daß die Musik hier nicht gewertet wird und somit wird das Gesamtwerk Bob Dylans nur teilweise geehrt. Die Singer-/Songwriter-Szene als solche hat es vielleicht nicht nötig, sich auf die Schulter klopfen zu lassen, aber was spricht dagegen, nur einen Teil des Schaffens eines Künstlers zu würdigen ? Kennern dieser Szene mag diese Preisverleihung nicht gerecht erscheinen, weil die Kenner eben mehr betrachten als nur das literarische Werk, und somit Wert auf mehr Aspekte des künstlerischen Schaffens des Protagonisten legen als ausschließlich die literarische Komponente. Jedes Kunstwerk ist aber ein Mosaiksteinchen des Spiegelbildes des Künstlers im Ganzen, der es erschafft. Da Menschen aber nicht als Ganzes verglichen werden können und sollten, werden bei Preisen eben Kriterien herangezogen, die immer nur Teilaspekte der gesamten Person und somit seines Werkes sein können. Bei Preisverleihungen liegt es leider oder zum Glück in der Natur der Sache, daß Vergleiche und somit Einzelkriterien herangezogen werden. Seien es Kriterien nach qualitativen Maßstäben, die auch wieder von irgendwelchen Gremien definiert werden und somit eine spezifische subkulturelle Norm darstellen, oder seien es Kriterien nach anderen durch Vereine, Verbänden und Interessensgemeinschaften aufgestellten Regularien und Maßstäbe. Man wird jemandem, dem ein Preis verliehen wird, und erst recht denjenigen, die den Preis nicht bekommen, nie gerecht, wenn man den kompletten Menschen und sein Schaffen beurteilen will, sondern immer nur einem Teil des Gesamtwerkes des Menschen. Das Kriterium, welcher Zeitraum als Teil des Gesamtwerkes betrachtet wird, ist egal, weil es eben immer nur ein Teil des Gesamtwerkes bleibt, ob nun zeitlich oder anhand von definierten quantitativ oder qualitativ vergleichbaren Kriterien.
Aber, und da stimme ich Skywise zu, kann es mir aber auch hier nicht verkneifen, genauer hinzuschauen: der jetzige Zeitpunkt der Vergabe des Literaturnobelpreises ist fragwürdig und darüber kann diskutiert werden, weil dieser Preis eben jährlich vergeben wird. Andererseits ist es manchmal erst möglich, so manches Werk erst mit etwas Abstand im geschichtlichen Gesamtzusammenhang zu betrachten und zu werten. Daher wäre ich dagegen gewesen, Bob Dylan den Preis schon beispielsweise 1975 zu geben. Wann also ist der optimale Zeitpunkt für die Vergabe dieses Preises ? Klar, beim Nobelpreis geht es nach Definition um die Leistung des letzten Jahres. Aber was heißt denn das ? In der Wissenschaft brauchen manche Entdeckungen auch jahrelange Zeit der Vorbereitung. Das Resultat wird dann vielleicht am Tag X präsentiert, aber die Leistung erstreckt sich, zusätzlich bedingt durch die Notwendigkeit, erstmal in Form von langjähriger Ausbildung genug Wissen anzusammeln, um überhaupt neue Entdeckungen machen zu können, über mehrere Jahren wenn nicht sogar Jahrzehnte. Vor diesen Hintergründen kann ich sehr gut damit leben, daß der Preis "erst" im Jahre 2016 vergeben wurde.
Es gibt leider nicht so viele Preise, wo die Singer-/Songwriter bzw. Liedermacherszene öffentlich gewürdigt wird, und daher betrachte ich das Argument "Endlich mal ein Musiker" als eine Art Anerkennung für einen Bereich, der auch meines Erachtens ansonsten nicht genug gewürdigt wird. Fragwürdig ist natürlich der Versuch, künstlerische Werke immer in irgendeine Schublade stecken zu wollen, was in diesem Fall bei der Vergabe des Literaturnobelpreises schon passiert, weil diese Schublade eben nicht, wie Skywise schon sagt, das gesamte künstlerische Werk würdigt. Die Verleihung des Literaturnobelpreises für Bob Dylan könnte in Form der angesprochenen "Aufwertung" tatsächlich wie Werbung für die Singer/Songwriter- bzw. Liedermacherszene gewertet werden. Meine Meinung ist, daß derjenige, der sich für ein bestimmtes Genre ansatzweise interessiert, ohnehin auch mal genauer hinschaut und dann immer noch mündig genug ist abzuwägen, ob es seinem Geschmack entspricht oder nicht. Insofern braucht dieses Genre vermutlich keine Werbung auf diese Art, und eine Aufwertung der gesamten Szene ist es meiner Meinung nach auch nicht, eher ein "Wieder-Aufmerksam-Machen auf die Szene". Andererseits kenne ich auch Leute, sie sich nie für Liedermacherei interessiert hätten, wenn ich sie nicht mit der ein oder anderen Empfehlung damit in Verbindung gebracht hätte. Da schadet es nicht, wenn ein Genre auch auf diese Weise mal wieder in Erinnerung gebracht und ins Licht gerückt wird.
Reinhard Mey hat damals den "Echo" für den Bereich "Schlager/Volksmusik" abgelehnt, weil er sein Werk nicht in dieser Schublade sehen wollte. Für mich absolut nachvollziehbar. Darüber, daß sein Werk beachtet wurde und geehrt werden sollte, wird er sich sicherlich gefreut haben, aber in der Schublade "Schlager/Volksmusik" fand er sicherlich keinen der Teilaspekte seines Schaffens würdig vertreten, so daß er sich mit dem Preis nicht identifizieren konnte. Bei Bob Dylan und dem Literaturpreis sehe ich das wirklich anders. Die Texte sind Teile seines Schaffens, und wenn diese auch als solche mit einem speziellen Preis gewürdigt werden, spricht aus meiner und scheinbar auch aus seiner Sicht nichts dagegen, abgelehnt hat er den Preis ja noch nicht. Ein Preis steht immer für Anerkennung einer Leistung nach bestimmten Kriterien, und diese Ansammlung von Kriterien bilden immer irgendeine Schublade. Je weniger Kriterien es gibt, desto mehr können aber auch nur Teilbereiche einer Gesamtleistung gewürdigt und ausgezeichnet werden. Und das sehe ich bei Bob Dylans Texten und dem Literaturnobelpreis.
Aus meiner Sicht sollten bei Songs von Singer-/Songwritern und Liedermachern, die sich auch als Protagonisten des gleichnamigen Genres sehen, jeweils der Text im Vordergrund stehen und die Musik den jeweiligen Text immer begleiten, untermalen, hervorheben und bekräftigen, deshalb finde ich es nach wie vor etwas befremdlich, wenn Songschreiber eine Melodie bzw. im einfacheren Fällen eine Akkordfolge haben, und dazu einen x-beliebigen Text schreiben, ohne zu schauen, ob der Inhalt des Textes zur Charakteristik der Musik paßt. Aber das ist nur meine Sicht der Dinge bzw. würde ich es vermutlich anders handhaben. Und sicher gibt es genug Lieder, die mir gefallen, wo es definitiv erst die Musik gab.
Schade finde ich allerdings, daß viele Liedtexte, die schon so manch geniale Wortspiele, Thesen, Bilder, Metaphern und Vergleiche im Allgemeinen und gar philosophische Anregungen hervorgebracht haben, und wo so manche Liedtextpassagen schon zu geflügelten Worten wurden und in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen sind, in der Öffentlichkeit kaum gewürdigt werden. Für jeden Scheiß gibt's irgendeinen Preis, und sei es in der Form einer Handy-Weitwurf-Weltmeisterschaft. Für die Öffentlichkeit mag so manche Preisverleihung vielleicht ungerechtfertigt oder fehl am Platze erscheinen, für den Schaffenden jedoch ist es einfach eine Anerkennung für sein Werk oder eben eines Teils davon. Ob der Schaffende sein Werk durch den Preis nun gewürdigt sieht oder nicht, darf er durch Annahme oder Ablehnung glücklicherweise selbst entscheiden.
Und deshalb finde ich es gut, wenn mit der Vergabe des Literaturnobelpreises an Bob Dylan weder der Mensch Bob Dylan noch sein Gesamtwerk (also inklusive Musik bzw. seine Auftritte als Kunstform) noch das Genre "Singer-/Songwriter", sondern wirklich an dieser Stelle seine Texte gewürdigt und ausgezeichnet werden und somit die Welt noch mal dran erinnert wird, daß so manche musikalischen Künstler auch richtig wertvolle und tolle Texte schreiben können. Das passiert meiner Meinung nach zu wenig. Für alle anderen Kategorien mag es andere Preise geben, aber hier geht es um einen Preis für Texte eines Singer-/Songwriters, nicht mehr und nicht weniger.
Musikalische Grüße von
Georg :georg:
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[Jürgen Beckers]